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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper
Autoren: Miriam Pielhau
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Gleich. Ich fange an zu schmunzeln. Dann lache ich. Mit Ton. Und bekomme mal wieder etwas feuchte Augen. Dieses Gefühl muss großes Glück sein, was sich da gerade so wohlwollend in mir ausbreitet. Ich hatte Krebs. Ich hatte Angst. Ich hatte keine Haare mehr. Aber jetzt habe ich allen Grund, stolz auf mich zu sein. Es gibt noch nicht einmal ansatzweise einen vernünftigen Einwand, der dagegenspräche. Stolz auf mich sein. Das, was mir Zeit meines Lebens immer schwerfiel. Nur noch 20 Meter. Der Sprecher auf der Bühne ruft in sein Mikrofon: »Und da kommt die nächste Zieleinläuferin. Zeig mal deine Startnummer ...« Ich öffne meine Weste, sodass er die Zahlen lesen kann. Er blickt auf seine Teilnehmerliste: »Ah ja ... Moment. Das ist ... herzlich willkommen: Miriam aus Berliiiin.« Das Publikum applaudiert höflich. Meine Liebsten schreien hysterisch. Die wenigen Härchen, die ich habe, stellen sich auf. Ich schicke einen atemlosen Dank gen Himmel. Danke. Für alles. Ich bin am Ziel. So oder so. Und heute nach 2 Stunden, 23 Minuten und 1 Sekunde.

Epilog
    Eine Woche nach Therapieende bin ich zur Kur gefahren. Allerdings nicht in eine ärztlich verordnete. Ich konnte mir, ehrlich gesagt, nur schlecht vorstellen, in einem winterkalten Kurbad irgendwo in Deutschland, weit weg von zu Hause mit im Durchschnitt 20 Jahre älteren Patientinnen tatsächlich mein Glück und Erholung zu finden. Also haben Thom und ich beschlossen, gemeinsam vier Wochen in Thailand zu verbringen. Was sich als hervorragende Idee herausgestellt hat. Wir haben zum wiederholten Mal die Beluga School for Life besucht. Ein Hilfsprojekt, das es erst seit der Tsunami-Welle gibt und um das wir uns seitdem kümmern. In der School for Life nahe Khao Lak leben Tsunami-Waisen und Halbwaisenkinder. Hier werden sie psychologisch und pädagogisch betreut, sie dürfen zur Schule gehen und eine Ausbildung machen. Für Urlauber wurden moderne Bungalows gebaut. Mit ihrem Aufenthalt unterstützen sie das Projekt. Mitten im Grünen liegen die Hütten.
    In so einem Häuschen haben wir gewohnt, uns ins Dorfleben eingebracht, entspannt – und viel Abstand zu diesem herausfordernden Jahr gewonnen. Dort, in der School for Life, sind übrigens viele dieser Seiten entstanden. Nach diesem, meinem persönlichen Reha-Aufenthalt habe ich schnell wieder angefangen zu arbeiten. Mit meiner montäglichen Sendung. Das war so auch (von mir) geplant. Nicht nur, dass es mir die körperliche Konstitution gestattete. Es hat auch meinem Bedürfnis nach Normalität Rechnung getragen. Die Perücke habe ich, nach einer langen, intensiven Diskussion mit mir selbst, vom ersten Tag an weggelassen. Und das, obwohl die Haare wirklich noch sehr kurz waren. Ich denke, ich werde einige (Zuschauer) damit überfordert haben. Aber ich selbst habe mich so am wohlsten gefühlt. Und das zählt. Das habe ich gelernt. Und nicht zuletzt hat es hoffentlich der einen oder dem anderen in einer ähnlichen Situation auch Mut gemacht. Sich nicht zu verstecken. Sich nicht zu schämen. Durchzuhalten. Mut und Durchhaltewillen sind nämlich meiner kleinen Erfahrung nach ganz schön wichtig, wenn man vom Leben so eine Aufgabe gestellt bekommt. Und Leute, die einen entmutigen, gibt es ohnehin genug.
    Apropos: Ich hatte Prof. Dr. Fragwürdig etwa eine Woche nach dem sehr unglücklich verlaufenen Gespräch eine versöhnliche e-mail geschrieben. Tenor war in etwa: »Gespräch nicht zufriedenstellend ...
Sicher auch für Sie ungewöhnlich ... Hatte mich auf den Termin sehr gefreut ... Sie wurden als Koryphäe empfohlen ... Daher lag mir Ihr Ratschlag am Herzen ... Leider sehr enttäuscht ... Vermutlich haben andere Dinge als mein Besuch, Sie veranlasst, so unerwartet zu reagieren ... Im Sinne eines zukünftigen guten Miteinanders würde ich mich freuen, diese unerquickliche Sache friedvoll abzuhaken.« Das hat mich viel Überwindung gekostet. Weil der angerichtete Schaden sehr groß war. Und weil ich mich nicht wirklich in der Bringschuld sah. Ich warte bis heute auf eine Antwort. Wobei: Nein. Eigentlich (er-)warte ich nicht mehr. Ist gesünder für mich.
    Miriam Pielhau, im April 2009

Danke schön!
    Liebe, Kraft, Worte der Hoffnung, wortlose Hoffnung, Umarmungen, Küsse, Streicheleinheiten, Mut machende e-mails, aufmunternde Anrufe, Wir-stehen-hinter-dir-Parolen ... Sehr viele Menschen haben mir geholfen, durch diese nicht immer leichte Zeit zu kommen. Daher danke ich von Herzen meinem Vater, meiner gesamten,
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