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Der Rache Suesser Klang

Der Rache Suesser Klang

Titel: Der Rache Suesser Klang
Autoren: Karen Rose
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Western Florida
    5. Juni, 14.30 Uhr
    E s war eine traditionelle Beerdigung gewesen. Ein paar Trauergäste trugen grüne Golfhosen aus Polyester, aber die meisten hatten sich trotz der feuchten Hitze Floridas schwarz gekleidet.
    Von ihrem Beobachtungsposten aus fünf Grabsteinen Entfernung konnte Sue Conway den Geistlichen das übliche »Asche zu Asche, Staub zu Staub« intonieren hören. Sie blickte auf die Blumen herab, die sie auf das ihr unbekannte Grab gelegt hatte, und zog die Brauen zusammen. Die verdammte Beerdigung war beinahe vorüber, ohne dass die eine Person aufgetaucht war, die sie zu sehen gehofft hatte.
    Der Geistliche trat zurück, damit die Trauernden Abschied nehmen konnten. Die Leute waren noch immer wie betäubt, wie man dem ungläubigen Gemurmel entnehmen konnte, das Sue durch das kleine Knopfmikro in ihrem Ohr vernahm.
    »Und ich habe mich hier einmal sicher gefühlt«, sagte jemand.
    »Unsere Gegend wird nie wieder dieselbe sein«, sagte ein anderer.
    »Ich habe früher meine Tür nie verriegelt. Ihr könnt sicher sein, dass ich das jetzt tue.«
    Es war das erste Mal, dass jemand aus ihrem Kreis ermordet worden war. Und dass es so grausam geschehen war, ging über das Begreifen hinaus.
    Dieser Mord war nicht ihr erster gewesen, aber er hatte ihr mehr Vergnügen bereitet als jeder andere. Das Stöhnen, das Knirschen der Knochen unter ihren Händen. Das sprudelnde Blut, wenn sie schnitt, immer nur ein wenig. Sie hatte noch lange danach davon geträumt, von jedem Aufschrei, jedem Schnitt in Fleisch und Knochen, von jedem Blutstropfen. Es war ein reines, unverdorbenes Vergnügen gewesen. Etwas, an das sie sich klammern konnte, während sie ihre Suche fortsetzte.
    Denn selbst unter der Folter hatte ihr Opfer ihr nicht das gegeben, wonach sie verlangt hatte. Sie musste also weitersuchen, und wenn sie gefunden hatte, was sie wirklich haben wollte … dann würde dieser Mord in der Rückschau wie ein Spaziergang wirken. Sie hatte viele Jahre aufzuholen, so viele Fantasien aufgestaut, hatte so unfassbar viel zurückzuzahlen. Aber sie konnte das Stück nicht beginnen, bevor nicht alle Teilnehmer auf der Bühne standen. Denn wenn sie erst einmal angefangen hatte, gab es kein Zurück.
    Sie kniete nieder und tat, als ob sie betete, während der Gottesdienst endete und die Leute sich zerstreuten. Einige Minuten verstrichen, dann hörte sie die heisere Stimme des Friedhofdirektors.
    »Lasst ihn runter, Jungs.«
    Sue zog rasch das Mikro aus dem Ohr, bevor das Rumpeln des Sargs, der in die Erde hinabgelassen wurde, ihr Trommelfell beschädigte. Sie seufzte. Die Show war vorbei, und der Ehrengast war nicht erschienen. Sie stand auf, klopfte sich die Erde vom Rock und machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung bemerkte, die sie innehalten ließ.
    Sie trat hinter eine große Grabanlage und beobachtete, wie ein kleiner Wagen mit Avis-Aufkleber auf die Zufahrt zu diesem Teil des Friedhofs bog. Der Wagen hielt, und die Person, die gefahren war, stieg aus.
    Sues Herz begann zu hämmern. Hundert verschiedene Gedanken rasten durch ihren Kopf.
Endlich
war das Wort, das alle anderen schließlich überlagerte. Nur mit Mühe gelang es ihr, einen triumphierenden Schrei zu unterdrücken.
    Der Ehrengast war also endlich gekommen. Nun konnte das Spiel der Vergeltung beginnen. Aber sie musste behutsam vorgehen und sich an ihren Plan halten, denn es war wichtig, dass alle Puzzleteile am richtigen Platz lagen.
    Nun hielt sie die Karten in der Hand. Nun hatte sie die Macht.
    Fürchte dich. Ich komme.

Wight’s Landing, Isle of Wight Bay, Maryland
    Mittwoch, 28. Juli, 2.00 Uhr
    A
utsch. Das tut weh.
Das war sein erster Gedanke, als sich die Finger in seine Schulter gruben und ihn schüttelten. Fest. Es tat wirklich weh.
Hör auf.
    Wieder wurde er geschüttelt, aber er schlug die Augen nicht auf. Es konnte noch nicht Morgen sein. Er holte Luft und roch ihr Parfum. Das war nicht fair. Sie hatte versprochen, dass er die ganze Woche frei haben würde. Keine Lektionen. Keine Lernkarten. Keine blöden Wortspiele, keine Sprachtherapie. Nur Sonne, Strand und Spaß. Angeln, Krebse fangen. Auf den Wellen reiten. Den ganzen Abend Videospiele. Schlafen, solange er wollte. Aber nun rüttelte sie ihn einfach wach.
    Sie würde ihr Versprechen brechen. Das taten sie früher oder später alle. Also würde er die Sache eben einfach aussitzen, wie er es bei den anderen Sprachtherapeuten auch gemacht hat.
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