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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper
Autoren: Miriam Pielhau
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auf die nächsten Schritte vor. Eine Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT) soll nach dem unguten Ergebnis der Gewebeprobe Aufschluss darüber geben, ob und wenn ja, was für ein garstiger Gesell es sich da in mir bequem gemacht hat. Und was mit meinen Lymphknoten wirklich los ist. »Wieso? Was könnte denn da sonst noch sein, außer der Drüsenerkrankung, die schon festgestellt wurde? Ist doch alles klar so weit.« Ich bin miserabel im Versuch darin, mir Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Dr. Gonzalez macht wieder das Gesicht. Hochgezogene Augenbrauen, kurzes Zögern, Luft holen: »Nun ja, wir müssen ausschließen, dass sich in den Lymphknoten schon Krebszellen befinden.« Und nach einer kleinen Pause: »Oder sonst wo im Körper.« Furcht sackt als flaues, schweres Gefühl in den Bauch. Ich sehne mich nach guten Nachrichten. Jetzt allerdings gilt es erst einmal herauszufinden, wie gravierend die schlechten sind.
    Die MRT wird sofort durchgeführt und der Tumor ist alsbald ausgemacht. Er ist nicht riesig, aber auch nicht mehr winzig. Also schnell raus damit. Sagt Dr. Gonzalez. Mir geht das alles ein bisschen zu fix. Zu meiner natürlichen Abneigung gegenüber Ärzten und Krankenhäusern beziehungsweise allem, was an nicht gesund sein erinnert, kommt eine ausgeprägte Angst, um nicht zu sagen Panik, vor Operationen. Das hat nichts mit den Herren und Damen Doktoren oder ihren schicken Wirkungsstätten zu tun. Ich mag mich nicht, wenn ich nicht funktioniere. Und sowohl Arzt als auch Ambulanz sind eindeutige Zeichen fürs Funktionsuntüchtigsein. Deshalb. Seufzen. »OP? O.k. …« Von der Notwendigkeit der bevorstehenden muss mich selbstredend niemand mehr überzeugen. Nur: Muss das wirklich schon so bald sein? Es muss. Natürlich. Zeit zum Zögern bleibt nicht sonderlich viel. Denn bis zum Tag X muss ich einiges an Untersuchungen über mich ergehen lassen.
    Zehn Tage hat meine Seele, um den Wissensvorsprung des Kopfes aufzuholen und gleichzuziehen. Zehn Tage, um mich von einem kleinen Teil meiner einst gesunden Brust und einem weitgehend unbeschwerten Leben zu verabschieden. Zehn Tage, um mich darauf vorzubereiten, dass ich nach der OP zwar hoffentlich frei von bösartigem Gewebe bin, dafür aber mit neuen Narben leben muss. Und zwar nicht nur den körperlichen.
    In zehn Tagen wird operiert. Und dann wird das, was mich kaputt machen würde, aus mir rausgeholt. Das ist der medizinische Plan. Und Pläne sind gut. An Plänen kann ich mich orientieren. Sie geben mir und meinem Leben Struktur und damit Halt. Soweit der positive, der pragmatische Teil. Den anderen lerne ich auf unliebsame Weise kennen, als wir beide später am Abend endlich ein wenig zur Ruhe kommen. Wir lassen diesen unwirklichen Tag noch einmal Revue passieren. Leider und logischerweise bleibt das ersehnte Aufwachen aus dem Albtraum aus. Was die immer noch befremdliche Wahrheit nicht besser macht. Wir liegen auf unserem sonst sehr gemütlichen Sofa und erzählen uns unsere ungemütlichen Gedanken. »Thom?« – »Hm?« – »Ich hab Angst.« – »Hm.« – »Allerdings weiß ich noch nicht einmal genau, wovor genau.« – »Na, dass das ab jetzt unser Leben bestimmt. Auf unbestimmte Zeit.« Spricht es, und dann stockt er. Ich spinne den Gedanken auf meine Art und Weise weiter. Wohl wissend, dass er das nicht würde hören wollen: er, ein gut aussehender Mann in den knackigsten, allerbesten Jahren seines Lebens. Ich: K-Patientin. Bin wahrlich keine gute Partie. »In guten wie in schlechten Zeiten«, flüstert er da plötzlich leise. »Das haben wir uns doch versprochen.« Und weiter: »Versprechen muss man halten. Denn die besseren Tage, die kommen auch wieder.« Ich muss schlucken.
    Jetzt heißt es aber, nicht nur die nächsten Tage, sondern Wochen und Monate zu überstehen. Und mit dieser verfluchten Angst leben zu lernen. Angst, dass diese Krankheit mein Dasein schneller beendet, als wir uns das beide gewünscht haben. Die Angst, einfach ziemlich bald auf ziemlich blöde Art zu sterben. Das ist es doch, was den Schrecken dieser Krankheit ausmacht – die Tortur (der Therapie) und der Tod. Der so unweigerlich, so ungnädig, so unwiderruflich daherkommt.
    Es braucht ein paar Tage, bis ich lerne, dass das ganz und gar nicht der Fall sein muss. Dass – im Gegenteil – so eine Geschichte in der Mehrzahl der Fälle doch einen versöhnlichen Ausgang haben darf. Aber an diesem Abend scheint der Gevatter mit der dunklen Kutte unsichtbarer Dritter im Raum zu
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