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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper
Autoren: Miriam Pielhau
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gehabt haben. Ja. Ich habe bemerkt, wie Sie versuchten, meine Moral zu demontieren. Meine Seele zu besetzen. Das lasse ich nicht zu. Heute muss ich Ihnen ins Gesicht sehen und feststellen: Verachtung. Mehr habe ich nicht übrig für Sie. Ihre Tage sind gezählt.
    Ergo: ein Stück Stärke ist zurück. Wie auch sonst in meinem bisherigen Leben, bin ich überhaupt nicht willens, eine Fremdbestimmung zu akzeptieren. Erst recht nicht, wenn es eine gute Chance gibt, dass ich das direkte Duell gewinne. Die Schultern spannen sich nach hinten. Kinn hoch. Brust raus. Beide. »Wollen wir doch mal sehen, wer hier zuletzt lacht.« Ich leg schon mal vor. Hahaha. Sicherlich keine Krankheit, die so einen bescheuerten Namen hat. Haha. Zur Seite mit dem seitwärts laufenden Krebs. Das werde ich ihm schon beibringen, das flüchten und sich verflüchtigen.
    Ein durch und durch dusseliger Dialog im Angesicht der K-Katastrophe. Ich weiß. Aber: Ein bisschen Fassungslosigkeit ist schon drin, wenn die eigene Welt um selbige ringt.
    Ich will heute eine neue Zeitrechnung für mich beginnen. Tag 1 nach dem bisher schlimmsten Schlag in einem Leben. Und eben dieser Tag startet mit meiner Kampfansage. Ich habe das Visier bereits runtergeklappt und mein Schwert gezogen. Also, ich wäre dann so weit.

3. 
Die Gefährten
    Die Rüstung sitzt. Was ich noch brauche, sind Mitstreiter und Weggefährten. Daran mangelt es noch ein wenig. Zu groß die Verantwortung, als dass sie neben mir von einem allein, Thom, getragen werden könnte. Oder? Aber: Wem sage ich überhaupt Bescheid? Und wie? Ich verbringe den Tag grübelnd und unsichtbare Gräben ziehend. Unruhig durchwandere ich in Kreisen unsere Gemächer, das Telefon in der Hand. Immer wieder wähle ich Nummern, um kurz vor dem Freizeichen aufzulegen. So sehr reden mein Beruf ist, so wenig Worte fallen mir gerade ein. Tja, es passiert einem eben nicht jeden Tag, dass man Krebs hat. Und auch noch anderen davon erzählen muss. Es ist nicht nur die eigene Angst, die mich hemmt. Sondern die Angst vor der Angst der anderen. Die Angst vor der Reaktion und meiner Reaktion darauf. Die Angst vor dem Schmerz, den der Schmerz der anderen auslösen wird. Ist das kompliziert. Aber ganz für mich behalten kann, will und darf ich es nicht länger. Nach etwa zwei Stunden, die ich damit zugebracht habe zu überlegen, wie ich wem sage, dass ich dooferweise recht ernsthaft erkrankt bin, wage ich den ersten Anruf. Bei Mama. Die Scheu davor ist unglaublich groß. Ich weiß nicht, wie sie die Nachricht verkraftet. Wir sind uns sehr nah. Schon immer gewesen. Durch Höhen und Tiefen in unseren Leben. Habe Sorge, dass ihre Sorge um mich sie zu sehr grämt. Dass sie es nicht aushält. Dass sie verzweifelt. Und leidet. Und weint.
    Es kommt so anders. »Hallo Mama. Ich bin’s. Na, wie geht’s dir?« Die Stimme hält sich stabil. Unverfänglicher Einstieg. Es läuft. »Gut. Aber, sag mal, was ist denn los?« Ich bin kurz etwas beleidigt ob der misslungenen Täuschung. Aber so ist das halt. Versuche niemals den siebten Sinn deiner Mutter zu hintergehen. Geht sowieso daneben. Wie jetzt. Ich hole tief Luft, spare mir also die vorher sorgsam zurechtgelegten Small-Talk-Bausteine, und berichte. Meinen Worten aufmerksam folgend, entfährt ihr, als ich das Unheilvolle verkünde, nicht mehr und nicht weniger, als ein ziemlich zartes »Ach ...«. Kein Aufschrei, kein Klagen, kein hörbares Entsetzen. Nicht vor meinen Ohren. Gleichwohl ahne ich, dass sie all das nachholen wird, sobald wir aufgelegt haben. Der Gedanke an ihr Wehklagen macht mir Ziehen im Bauch. Doch augenblicklich gibt mir ihre demonstrative Stärke unendlich viel Kraft. Aus diesem kleinen Telefon kommt gerade so viel Energie. Ein phänomenales Medikament, diese Mutterliebe. Das heißt: Eine weitere wichtige Verbündete in meinem Feldzug gegen den verhassten Feind ist ausgemacht. Und ich stelle fest: Die positive Energie eines anderen geliebten Menschen wird zu meiner eigenen. Toll. Spitzensystem. Das will ich mir merken. Für dunkle Stunden.
    Als wir unser Gespräch beenden, bin ich etwas gelöster. Nicht nur, weil sie es den Umständen entsprechend gut aufgenommen hat, sondern weil es sich erleichternd anfühlt, die Last mit den Liebsten zu teilen. Dennoch entscheide ich mich dafür, nur noch einer Handvoll weiterer Menschen das Gewicht dieser Nachricht zuzumuten. Die Reaktionen sind so unterschiedlich wie die Charaktermerkmale und Wesenszüge der Freunde, mit denen ich
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