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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen
Autoren: Andreas Moeller
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Prolog: Am Wasser
    Am Ende läuft beim Thema Natur so gut wie alles hinaus auf Bilder und Erinnerungen. Als Kind habe ich mir Notizen gemacht, wenn ich zum Angeln ging. Ich trug sie in ein „Fangbuch“ ein und klebte Fotos von Rotfedern und Schleien dazu, die ich stolz in die Kamera hielt. Sie halfen mir später beim Rekonstruieren der Tage, der verwendeten Köder, des Wetters, der Uhrzeit, meiner Strategie. Ich weiß, dass der Wende-Winter 1989 so mild war, dass unser See in Mecklenburg keine Eisschicht trug. Die Seerosenblätter lagen braun und tot auf dem Wasser. Ein Wort namens Klima gab es damals noch nicht.
    Im Mai des Jahres 2011 stand ich wieder am Ufer eines Gewässers. Diesmal war es der Rhin, ein kleiner Fluss nördlich von Berlin. Er schlängelt sich durch eine eiszeitliche Landschaft in der Prignitz unweit der Stadt Fehrbellin. Hier ist das Kernland der Erzählungen Fontanes: Kopfsteinpflasterstraßen, Apfelbäume, gedrungene Häuser aus der Zeit der Befreiungskriege und ein Horizont, der von Kranichzügen und Windrädern gleichermaßen geprägt ist, der Symbiose aus Natur und Technik. Es war ein Montag, das Ende eines langen Wochenendes. Wurf um Wurf suchte ich die Flusskante ab. In meinen Händen hielt ich eine Kohlefaserrute, mit der ich eine Hechtfliege über das Wasser zog. Ich wollte ein oben schwimmendes Insekt imitieren oder einen kranken Fisch. Doch nichts geschah.
    Es war jener Montag, an dem die Bundesregierung den endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie verkündete. Sie beendete damit alle Spekulationen, welche Konsequenzen aus den Vorfällen im japanischen Kraftwerk Fukushima zu ziehen seien, das am 11. März 2011 havariert war. Erst wenige Monate zuvor hatte sie ihr Energiekonzept vorgelegt und die Laufzeiten der Meiler verlängert. Doch die Schwere des Ereignisses und der Umstand, dass es in einem Industrieland stattgefunden hatte, das um die Gefahr von Erdbeben wusste, ließen Gedanken an Eventualitäten auch bei uns aufkommen. Wer wollte Zweifel mit letzter Gewissheit ausschließen? Die Frage von Vertrauen und Unbedenklichkeit stellte sich auf einmal neu.
    Während ich nach Halt an der Uferböschung suchte und meine Blicke in die Strömung versenkte, folgte die Politik dem Primat der Vorsorge und Risikobegrenzung. Sie hoffte, Ängsten und Widerständen zuvorkommen zu können, die mit der Kernkraft verbunden waren und im Westen Deutschlands noch tiefer saßen als im Osten. 1 Große Teile von Öffentlichkeit, Wirtschaft und Wissenschaft würden ihr in den nächsten Tagen folgen und sich solidarisch erklären.
    Erst Stunden später, als ich zurückfuhr und die Lichter der Windräder in der Dunkelheit sah, die den Ackerstreifen neben mir wie die Landebahn eines Flughafens aussehen ließen, hörte ich im Radio davon. Ich hatte meinen Rucksack gepackt und war zum Rastplatz gelaufen. Der staubige Weg mündete in eine Landstraße, die irgendwann zur Bundesstraße wurde. Und dann zur Autobahn in Richtung Berlin. Nach Hause.

Eine fast unendliche Geschichte: Natur und Technik in Deutschland
    Besitzen wir Deutschen ein besonderes Verhältnis zu Natur und Technik? Obwohl es kaum ein besseres Mittel gibt, Lesern gleich zu Beginn das Interesse am Kommenden zu rauben, indem man sie in lange Schilderungen der Vorgeschichte verwickelt, lohnt es sich, etwas Zeit auf den Hintergrund der Naturdebatte in Deutschland zu verwenden. Denn es gibt Wahrnehmungsmuster der Vergangenheit, die hell bis zu uns ausstrahlen. Und es gibt Metaphern und Stichworte aus der Historie, derer wir uns bis heute bedienen, um uns über die Natur zu verständigen. Überspringen Sie die beiden nächsten Kapitel bis zum Reportageteil also nur, wenn Sie schon früher auf Kriegsfuß mit Ihrem Geschichtslehrer standen.
    Tatsächlich waren die Deutschen Eroberer der Natur und zugleich deren sentimentalste Verehrer. Naturdichtung und grünes Liedgut nehmen innerhalb des kulturellen Erbes eine so herausragende Stellung ein wie die Geburt des Parlamentarismus, Revolutionen, Unabhängigkeitsbewegungen und Kriege in England, Frankreich oder den USA. Während Parks und Gärten in England Orte der geselligen Zusammenkunft und des Rechts auf freie Rede waren, verbanden die Deutschen mit ihnen vor allem Einkehr und Innerlichkeit. Über das „Ich“ bezogen sie eine Identität aus der Landschaft – Gebirgen, Wäldern und Flüssen, weniger aus demMeer, das den Raum öffnete. Kein schöner Land in dieser Zeit : Sechs Worte, die zum Ausdruck
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