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In tiefster Dunkelheit

In tiefster Dunkelheit

Titel: In tiefster Dunkelheit
Autoren: Debra Webb
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    Birmingham, Alabama,
    Mittwoch, 14. Juli, 13:03 Uhr
    Special Agent Jess Harris’ Karriere war durchs Klo gerauscht, zusammen mit dem hastig heruntergeschlungenen Frühstück, das sie auf einer Rasthoftoilette auf der anderen Seite von Nashville wieder von sich gegeben hatte.
    Gott, so war das alles nicht geplant gewesen.
    Jess bekam keine Luft. Sie sagte sich, dass sie aus dem Wagen aussteigen oder ein Fenster herunterlassen musste, doch ihr Körper wollte keinem einzigen einfachen Befehl gehorchen.
    Die glühend heißen fünfunddreißig Grad, die den Asphalt und Beton der Stadt aufheizten, herrschten knapp zwei Sekunden, nachdem sie geparkt und den Motor ausgestellt hatte, auch im Inneren des Wagens. Was allerdings für das bisschen an Vernunft, das ihr noch geblieben war, wenig Bedeutung zu haben schien, denn zehn Minuten später umklammerten ihre Finger immer noch das Steuer, als hätten die letzten Stunden ihrer zweitägigen Fahrt die Totenstarre ausgelöst.
    Sie war
zu Hause
. Zwei Wochen längst überfälligen Urlaubs standen zu ihrer freien Verfügung. Ihre Post wurde im Postamt in Stafford, Virginia, gelagert, wo absolut niemand sie vermissen würde.
    Trotzdem zögerte sie, den nächsten Schritt zu tun. Doch einfach wieder wegzufahren kam nicht infrage, auch wenn sie genau das jetzt am liebsten getan hätte.
    Ihr Wort war alles, was ihr noch geblieben war. Eigentlich hätte sie ob der Ungeheuerlichkeit ihrer Lage in hysterisches Gelächter ausbrechen sollen, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt, vor Fassungslosigkeit und Entsetzen gleichermaßen.
    Wenn du das in den Sand setzt, bleibt dir nichts mehr.
    Sie atmete einmal tief durch, löste die Finger vom Lenkrad, nahm ihre Tasche und stieg aus. Eine Hupe dröhnte, und sie drückte sich an den staubigen Kotflügel ihres zehn Jahre alten Audi. Pkws und Lastwagen zischten vorbei, die es noch über die Kreuzung Eighteenth Street und First Avenue schaffen wollten, bevor die Ampel umsprang. Abgase lagen in der feuchten Luft und mischten sich mit der Hitze und dem Lärm der Stadt.
    Fast hätte sie das Zentrum von Birmingham nicht wiedererkannt. Restaurierte Läden aus einer längst vergangenen Ära standen neben neueren, glänzenden Gebäuden, deren Nüchternheit durch geschickt platzierte Bäume und Büsche gemildert wurde. Ein eleganter Park mit einem imposanten Brunnen lud die Kauflustigen zum Flanieren und Picknicker zum Entspannen ein. Man hatte sich große Mühe gegeben, die heruntergekommenen Straßen, einst das Zentrum der berüchtigten Bürgerrechtsbewegung, in eine möglichst elegante Ausgabe einer stolzen Südstaatenstadt zu verwandeln.
    Was zur Hölle tat sie hier?
    Zweiundzwanzig Jahre lang hatte sie härter an ihrem Akzent gearbeitet als Professor Henry Higgins’ Blumenmädchen, um jede Spur von Südstaatengenuschel aus ihrer Sprechweise zu tilgen. Ein Psychologiediplom vom Boston College schmückte ihren Lebenslauf, dazu siebzehn Jahre unermüdlicher Schufterei, um sich eine Karriere aufzubauen, für die man sie bewunderte.
    Und wozu das alles? Um dann mit eingezogenem Schwanz hierher zurückgerannt zu kommen, den stolzen Kopf so tief gesenkt, dass sie die hässliche Wahrheit riechen konnte.
    Nichts hatte sich geändert.
    All die sprudelnden Brunnen und hübsch dekorierten Schaufenster konnten die Tatsache nicht verbergen, dass dies immer noch Birmingham war – der Ort, den sie zum letzten Mal im Rückspiegel gesehen hatte, als sie achtzehn war –, und auch das rote Vierhundert-Dollar-Kostüm, das sie trug, samt der dazu passenden High Heels, konnte nicht kaschieren, dass sie schmählich in Ungnade gefallen war.
    Er hatte angerufen, und sie hatte versprochen, sie würde kommen und sich seinen Fall ansehen. Es war das erste Mal, dass er sie um etwas bat, seit sie sich nach dem College getrennt hatten. Dass er sie überhaupt um Hilfe bat, erstaunte sie und tat ihrem gebeutelten Selbstvertrauen gut. Niemand in ihrer Heimatstadt wusste von ihrem Karriere-Debakel oder gar dem Katastrophengebiet, das ihr Privatleben darstellte. Und wenn es nach ihr ging, würde das auch so bleiben. Die Eine-Million-Dollar-Frage allerdings lautete: Wie sollte es danach weitergehen?
    Der Luftstrom eines vorbeifahrenden Autos schlug ihr den Rock um die Beine, was sie daran erinnerte, dass dieser Parkplatz am Straßenrand nicht der geeignete Ort für eine Bestandsaufnahme ihres Lebens war.
    Also setzte sie ein Pokerface auf, straffte entschlossen die Schultern und
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