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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus
Autoren: Greg Bear
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zu, hob seine Zigarette über das Lenkrad und streckte das Kinn vor. »In der Scheiße liegt die Rettung, was?«, fragte er.
    Kaye musste trotz allem lächeln. »Bitte versuch’ nicht, mich aufzuheitern«, sagte sie.
    Lado ging darüber hinweg. »Gut für uns. Georgien hat der Welt etwas zu bieten. Wir haben tolles Abwasser.« Er rollte elegant das r, und »Abwasser« klang wie »Abb-wa-serrr«.
    »Abwasser«, murmelte sie. »Abb-wa-serrr.«
    »Habe ich es richtig gesagt?«, fragte Lado.
    »Vollkommen richtig«, erwiderte Kaye.
    Lado Jakeli war leitender Wissenschaftler am Eliava-Institut in Tiflis. Dort gewannen sie Bakteriophagen – Viren, die nur Bakterien befallen – aus dem Abwasser der Stadt und der Krankenhäuser, aber auch aus Proben aus der ganzen Welt. Jetzt stand der Westen einschließlich Kaye demütig Schlange, um von den Georgiern etwas über die therapeutischen Wirkungen von Phagen zu lernen.
    Mit dem Personal des Eliava-Instituts verstand sie sich prächtig.
    Nach einer Woche voller Tagungen und Laborbesichtigungen hatten ein paar jüngere Wissenschaftler sie eingeladen, mit ihnen zu den Hügeln und leuchtend grünen Schafweiden am Fuß des Kazbeg-Berges zu fahren.
    Alles hatte sich so schnell verändert. Erst heute Vormittag war Lado die ganze Strecke von Tiflis zu ihrem Basislager bei der alten, einsam gelegenen orthodoxen Gergeti-Kirche gefahren. In einem Umschlag hatte er ein Fax vom Hauptquartier der UN-Friedenstruppen in der Hauptstadt Tiflis mitgebracht.
    Im Lager hatte Lado einen Becher Kaffee hinuntergeschüttet und ihr dann – ganz Gentleman und nebenbei auch ihr Aufpasser
    – angeboten, sie nach Gordi zu bringen, einer Kleinstadt 120 Kilometer südwestlich des Kazbeg.
    Kaye hatte keine Wahl gehabt. Unerwartet und zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt hatte die Vergangenheit sie eingeholt.
    Die UN-Mannschaft war die Einreiselisten durchgegangen, um nichtgeorgische Medizinexperten mit einer gewissen Fachkenntnis zu finden. Dabei war ihr Name als einziger aufgefallen: Kaye Lang, 34, Partnerin ihres Ehemannes Saul Madsen in der Firma EcoBacter Research. Anfang der Neunzigerjahre hatte sie an der State University in New York Gerichtsmedizin studiert, weil sie in die Kriminalistik gehen wollte. Aber schon nach einem Jahr hatte sie es sich anders überlegt und auf Mikrobiologie mit Schwerpunkt Gentechnik umgeschwenkt; in Georgien war sie die einzige Ausländerin, die auch nur entfernt so etwas wie die von den UN benötigte Ausbildung besaß.
    Lado fuhr mit ihr durch die schönsten ländlichen Gebiete, die sie in ihrem Leben gesehen hatte. Im Schatten des Zentralkaukasus waren sie an terrassenförmig angelegten Bergweiden vorübergekommen, an kleinen steinernen Bauernhäusern, steinernen Getreidespeichern und Kirchen, Häusern mit freundlichen, kunstvoll verzierten Vordächern, die sich auf enge Schotter- oder Erdstraßen öffneten, an Kleinstädten, die in loser Folge zwischen hügeligen Schaf- oder Ziegenweiden und dichten Wäldern auftauchten.
    Aber wie alle Regionen, die sie in West- und jetzt auch in Osteuropa gesehen hatte, so waren selbst diese scheinbar leeren Weiten im Lauf der Jahrhunderte immer wieder überrannt und umkämpft worden. Manchmal fühlte sie sich erstickt durch die schiere Nähe ihrer Mitmenschen, durch das Zahnlückenlächeln alter Männer und Frauen, die am Straßenrand standen und dem Verkehr von und nach einer neuen, unbekannten Welt zusahen.
    Runzelige, freundliche Gesichter, knotige Hände, die dem kleinen Auto zuwinkten.
    Die jungen Leute waren alle in den Städten, nur die Alten waren zurückgeblieben und bestellten das Land, außer in den Urlaubsorten im Gebirge. Georgien hatte vor, zu einem Land der Urlaubsorte zu werden. Die Wirtschaft des Landes wuchs jedes Jahr mit zweistelligen Raten; seine Währung, der Lari, wurde immer stärker und war längst an die Stelle des Rubels getreten; bald würde er auch den westlichen Dollar ersetzen. Man baute Ölpipelines vom Kaspischen zum Schwarzen Meer; und der Wein wurde für das Land, in dem er seinen Namen erhalten hatte, zu einem wichtigen Exportartikel.
    In den nächsten Jahren würde Georgien ein neues, ganz anderes Gebräu exportieren: Phagenlösungen zur Heilung einer Welt, die im Begriff war, den Krieg gegen die Bakterieninfektionen zu verlieren.
    In einer unübersichtlichen Kurve geriet der Fiat kurz auf die Gegenspur. Kaye schluckte heftig, sagte aber nichts. Lado hatte sich im Institut fürsorglich um sie
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