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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus
Autoren: Stephan M. Rother
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Tag eins

Rom
    Amadeo Fanelli rannte um sein Leben.
    Er konnte nicht sagen, wie er in die Domkirche von San Pietro gelangt war, deren kalter Marmor das Ächzen seiner gehetzten Atemzüge zurückwarf, das Echo seiner eiligen Schritte.
    Er wusste nur, dass sie hinter ihm her waren mit ihren unauffälligen Kleinkaliberpistolen und der Entschlossenheit, ihn zu töten.
    Der Petersdom war ein Labyrinth aus aufgetürmtem Stein, jahrhundertealt, und in der Tiefe, in den Katakomben mit den Särgen längst verstorbener Päpste, verstärkte sich dieser Eindruck noch.
    Unvermittelt fand sich Amadeo im erdrückenden Dunkel der Grabstätte wieder, suchte mit klopfendem Herzen seinen Weg zwischen der düsteren Pracht der marmornen Sarkophage. Was tat er hier? Wer waren die Verfolger, deren Anwesenheit er in seinem Rücken spürte?
    War er allein? Er war nicht zum ersten Mal hier, und damals wäre er nicht mit dem Leben davongekommen, wäre er allein gewesen - ohne einen alten Mann mit Schnapsnase und Nickelbrille.
    Ohne Ingolf Helmbrecht.
    »Professor?«
    Amadeo war sich nicht sicher, ob er das Wort laut ausgesprochen
hatte. Für eine Sekunde glaubte er etwas gesehen zu haben, eine huschende Bewegung am Rande seines Blickfelds.
    War das Helmbrecht gewesen? Das hatte er nicht erkennen können. War der Professor überhaupt noch in der Lage, sich in einer solchen Geschwindigkeit zu bewegen? Auf schwer zu beschreibende Weise hatte die ferne Gestalt sich angefühlt wie Helmbrecht. Was tat er hier unten?
    Eine verwinkelte Flucht von Torbögen, halbdunklen Gängen voller Verzweigungen und Irrwege. Nicht mehr der matte Schimmer alten Marmors umgab Amadeo nun, sondern ockergelber, unbehauener Stein, eine unregelmäßige Höhle, die aussah, als wäre sie auf natürliche Weise entstanden. Woher das Licht kam, war nicht festzustellen, doch da war Licht, und es schien sich an einem Punkt zu sammeln, vielleicht zwanzig Schritte voraus. Da war etwas, eine Tür, ein Durchgang, eine Pforte.
    Und daneben stand Helmbrecht, gestützt auf seinen Krückstock, und betrachtete kritisch eine altertümliche Taschenuhr. Die ewig ungeputzte Nickelbrille war ihm tief auf die knollenartige Schnapsnase gerutscht.
    »Sie sind spät dran«, murmelte der alte Mann.
    »Was tun Sie hier?«, flüsterte Amadeo. Ein dumpfer Hall begleitete seine Worte.
    »Wir haben keine Zeit mehr.« Der Blick des Professors hob sich. In seinen Augen stand ein Ausdruck, den Amadeo nicht einordnen konnte, und selbst die Stimme des alten Mannes klang ungewohnt.
    Die Verfolger! Ihre Schritte … Konnte Amadeo ihre Schritte hören? Nein, er hörte nichts, doch er spürte, dass sie näher kamen. Der Rückweg war versperrt.
    Aber direkt vor ihm war die Pforte, an der Helmbrecht verharrte.

    »Sie sind gleich da!«, flüsterte Amadeo. »Wir müssen weg! Da durch!«
    Der Blick des Professors hatte sich nicht verändert. »Sie ist verschlossen«, sagte er. »Amadeo, Sie müssen den Schlüssel finden!«
    »Was?«
    »Sie müssen die Kleinigkeiten im Auge behalten, mein lieber Amadeo.« Für eine Sekunde nahm die Stimme einen vertrauten Klang an. »Ich glaube, das sagte ich Ihnen schon einmal. In den Kleinigkeiten liegt der Schlüssel.«
    »Wir haben keine Zeit für …« Gehetzt wandte Amadeo sich um.
    Sie waren heran, nein … Es war heran. Amadeo öffnete den Mund, doch kein Ton kam heraus, kein Wort jedenfalls, nur ein entsetztes, fassungsloses Geräusch, ein Keuchen, ein …
     
    » Capo?«
    Amadeo fuhr auf. Ein Stechen in seinem Kopf, ein Schwindel, das grelle Licht seiner Schreibtischlampe.
    Er blinzelte. Sein Herzschlag, jagend in der Kehle. Ein Traum! Ein irrsinniger, unglaublicher Traum, aber so deutlich, so plastisch, so …
    » Capo , sind Sie in Ordnung?«
    In der Bürotür stand eine Gestalt.
    Niccolosi.
    Fabio Niccolosi, der jüngere der beiden Auszubildenden der officina . Im Moment war nur sein schwarzer Lockenkopf zu sehen hinter einem Stapel verschnürter Postsendungen.
    »Ich bin …« Amadeo räusperte sich. »Es geht mir gut.«
    Helmbrecht. Ein Traum. Es war nur ein Traum gewesen, doch noch war Amadeo nicht vollständig im Hier und Jetzt angekommen.

    »Das ist der Posteingang?«, fragte er heiser.
    Der Junge antwortete nicht. Es war offensichtlich, dass das Ungetüm der Posteingang war. Schwankend stand Amadeo auf, packte mit an. Gemeinsam schafften sie das Monster zum Schreibtisch.
    »Die Werbung …« Fabio holte Atem. »Kataloge und Werbung hab ich schon aussortiert. Das
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