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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus
Autoren: Stephan M. Rother
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hob eines der Blätter an und strich vorsichtig über den Rand. »Wahrscheinlich werden Sie die Seiten zum Einband hin verstärken müssen, sonst reißen sie aus.«
    »Aber das wird man sehen.«
    Amadeo nickte. »Das lässt sich nicht verhindern.« Er seufzte. »Und es ist auch das Ehrlichste.« Er hielt nichts davon, Teile eines restaurierten Werkes nachträglich auf alt zu trimmen. Das erschwerte späteren Generationen nur die Arbeit, wenn sie versuchten, das Stück zu datieren.
    Gianna hob die Schultern. »Sie sind der capo .«
    Noch einmal nickte Amadeo. »Ich schreibe dem Kurator eine Mail, ob das so in Ordnung ist.«
    »Gut.« Gianna zögerte. »Dann wäre da allerdings noch das Problem mit den Seiten. Also mit der Reihenfolge. Ich fürchte, die ist mir ein bisschen …«
    Amadeo hob das Blatt noch einmal an, das nächste. »Griechisch«, murmelte er.
    »Sie können das lesen.« Sie nickte. »Wenn Sie mir vielleicht die Reihenfolge irgendwie …«
    »Ich sortiere das für Sie durch«, murmelte Amadeo und saß schon auf ihrem Stuhl. Einen Moment lang überlegte er, ob er mit dem Bleistift Markierungen anbringen sollte, kleine Zeichen, die Gianna die Arbeit erleichtern würden, aber das ließ der Zustand des Pergaments nicht mehr zu. Sie würden sich nicht vollständig entfernen lassen.

    Kleine Zeichen …
    Abrupt hielt er inne.
    »Alles in Ordnung, capo ?«
    Amadeo neigte stumm den Kopf. Kleine Zeichen. Eine Idee in seinem Hinterkopf. Rasch sortierte er die Seiten zurecht. Gianna hatte sie nicht übermäßig durcheinandergebracht. Aufmunternd nickte er ihr zu. »Sie schaffen das!«
    »Grazie«, sagte sie lächelnd.
    Amadeo machte ihr den Stuhl frei und griff nach seiner Tasse. Der caffè war inzwischen kalt. Er würde sich einen neuen machen, aber zuerst … Zuerst wollte er etwas ausprobieren. Eine Idee, eine Vision, die er plötzlich vor Augen gehabt hatte: kleine Zeichen.
    Amadeo eilte hinüber ins secretum , das Speziallabor der officina , dessen aufwendige technische Gerätschaften besonders kniffligen Fällen vorbehalten waren. In aller Regel war der Raum abgeschlossen - es gab nur zwei oder drei Restauratoren, denen er die Schlüssel überhaupt anvertraute: Gianna etwa oder Pisano, der aber seit letzter Woche mit Grippe im Bett lag.
    Amadeo öffnete eine der Schubladen unter der großen, stählernen Arbeitsfläche, auf der man historische Manuskripte durchleuchten konnte wie auf einem Seziertisch. Das würde ihm nicht weiterhelfen bei der Babylon-Erzählung, aber vielleicht ja… Amadeo zögerte einen Moment und wählte dann die stärkste verfügbare Leselupe.
    Sorgfältig schloss er den Raum wieder ab, bevor er sich auf den Rückweg in sein Büro machte. Diesmal gelang es ihm, die Werkstatt ohne Zwischenfälle zu passieren.
    Der Rechner auf seinem Schreibtisch hatte sich inzwischen auf Standby geschaltet, doch im Augenblick brauchte Amadeo ihn auch nicht. Wonach er suchte, war in seiner abgetippten Version nicht vorhanden.

    Er zog Einsteins Original zu sich heran, spähte durch die Lupe auf das grobporige Papier. Die Geschichte des Turmbaus zu Babel ist altbekannt. Buchstabe für Buchstabe folgte er dem Text, Wort für Wort. Geheimcodes konnten ganz unterschiedlich funktionieren, und eine der Möglichkeiten waren kleine Zeichen oder Markierungen an bestimmten Buchstaben. Zeichen, die mit bloßem Auge nahezu unsichtbar waren.
    Doch Zeile für Zeile sank seine Hoffnung. Nichts. Sämtliche Unregelmäßigkeiten des Papiers ließen sich auf das relativ hohe Alter zurückführen. In der oberen rechten Ecke konnte Amadeo einen verblassten Fleck ausmachen. Kaffee? Rotwein? Wahrscheinlich war Helmbrecht irgendwann in den letzten fünfzig Jahren ein Malheur passiert.
    »Das ist es nicht«, murmelte er enttäuscht. Wieder ein Schlag ins Wasser.
    Dumpf brütend lehnte er sich zurück. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hatte der Professor diesen Text in der Hand gehabt - und Amadeo wollte verdammt sein, wenn der alte Mann in dieser Zeit nicht alle möglichen und unmöglichen Theorien und Ansätze durchprobiert hatte! Und Amadeo erwartete ernsthaft, dass ihm die Erleuchtung an einem gemütlichen Vormittag zuflog? Helmbrecht jedenfalls schien genau das zu erwarten: Lesen. Lösen. Herbringen. Amadeo warf einen finsteren Blick auf das knappe Anschreiben des Professors. Er hätte ja wenigstens eine kleine Auflistung darüber beilegen können, was er schon versucht hatte.
    Schließlich gab es unzählige
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