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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus
Autoren: Stephan M. Rother
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Möglichkeiten, nach denen ein Code funktionieren konnte, und jede von ihnen besaß ein bestimmtes Schema. Markierungen waren eine Möglichkeit, eine andere war die Caesar-Verschlüsselung, nach der man nur jeden dritten, vierten, x-ten Buchstaben lesen
durfte. Amadeo hatte diese Möglichkeit bereits ausprobiert, nach der siebten oder achten Variante aber aufgegeben.
    Oder es gab die Buchstabensubstitution, bei der man einzelne Buchstaben gegeneinander austauschte: D und M zum Beispiel oder P und J. Das war hier undenkbar: Bei einem solchen Code würde sich der Ausgangstext lesen, als hätte man Sonnenblumenkerne über der Tastatur verstreut und dann eine Finkenkolonie drauf losgelassen. Er konnte keinen Sinn ergeben.
    Aber der Babylon-Text ergab einen Sinn. Abgesehen vom Ende, von der Seuche, dem Heilmittel und dem geheimen Ort las er sich fast wie das Original in der Bibel.
    Amadeo hielt inne. »Wie in der Bibel«, sagte er leise. Wie in einer besonders altertümlichen Bibelausgabe, der ältesten, die in deutscher Sprache überhaupt existierte.
    Er stand auf. Hinter seinem Arbeitsplatz nahm ein deckenhohes Bücherregal die gesamte Front des Raumes ein. Natürlich gab es Fächer, die der einschlägigen Fachliteratur des Restauratorenhandwerks gewidmet waren, eine kleine Abteilung jedoch hatte sich Amadeo, kaum dass er das Büro des capo bezogen hatte, für seine persönlichen Schätze reserviert: Erstausgaben, frühe Drucke - nicht so unerschwinglich wie jene Stücke, die die Restauratoren in der Werkstatt betreuten, aber eben doch kleine Kostbarkeiten. Dazu zählten auch einige Faksimiles, akribische Nachdrucke von Originalen, die in den Museen der Welt hinter Sicherheitsglas ihr Dasein fristeten.
    Amadeos Finger glitten über die Buchrücken, hielten inne und zogen einen ledergebundenen Folianten aus dem Regal. Fast zärtlich strich er über den Einband, bevor er das Buch auf dem Schreibtisch ablegte und die erste Seite aufschlug: Biblia/das ist/die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Mart.
Luth. Wittemberg. Begnadet mit kürfurstlicher zu Sachsen freiheit. Bedruckt durch Hans Lufft. M. D. XXXIIII.
    1534 also. Die 34 - XXXIIII - am Ende der Jahreszahl entsprach in ihrer Schreibweise in römischen Ziffern nicht der strengen Norm: dreimal zehn, viermal eins ergab zwar vierunddreißig, doch es galt als unfein, mehr als dreimal dasselbe Zeichen hintereinander zu schreiben. XXXIV hätte es heißen müssen: dreimal zehn, einmal fünf weniger eins. Solche Details waren es, die alte Texte zu etwas Besonderem und Kostbarem machten: ihre Unvollkommenheit, ihre winzigen Variationen.
    »Ich muss die Kleinigkeiten im Auge behalten«, murmelte Amadeo. Der Professor hatte recht - der Professor aus seinem Traum zumindest. Der Babylon-Text lehnte sich eng an Martin Luthers Bibelfassung an; irgendwo in den feinen Unterschieden musste sich der Schlüssel zu Einsteins Code verbergen. Die Seuche, natürlich, war neu, das Heilmittel und der geheime Ort. Doch war das der einzige Unterschied?
    Amadeo begann zu blättern. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel war fast am Beginn der Bibel zu finden, im elften Kapitel des ersten Buchs Mose. Er würde vergleichen, Wort für Wort. Den Zeigefinger auf dem Einstein-Text, bewegten sich seine Augen über die Schwabacher Lettern, in denen Lufft die Übertragung Luthers vor einem halben Jahrtausend gesetzt hatte: Es hatte aber alle Welt einerley zungen vnd sprache./da sie nu zogen gen Morgen/funden sie ein eben Land/im lande Sinear/vnd woneten daselbs.
    Einstein hatte einen Satz vorweggeschickt, quasi als Überschrift: Die Geschichte des Turmbaus zu Babel ist altbekannt. Danach stieg er ganz ähnlich ein wie die Bibel, erwähnte das Land Sinear und die Lehmziegel, mit denen der Bau ausgeführt wurde.
    Trotzdem: In der Formulierung, im Bau der einzelnen
Worte gab es winzige Unterschiede. Einstein, das war Amadeo schon aufgefallen, hatte in seinem Text auf Umlaute, auf das ä, das ö, das ü verzichtet. Ebenso auf das ß. Luther hingegen hatte sehr wohl mit Umlauten gearbeitet, gleichzeitig aber das ei gerne mal als ey geschrieben, was pittoreske Worte wie einerley ergab.
    Amadeo zog einen Schreibblock heran, begann den Text Buchstabe für Buchstabe durchzugehen, die Unterschiede zu notieren. Ihm war klar, dass er zur entscheidenden Differenz erst mit der Seuche kommen würde, doch auch jetzt schon …
    Es klopfte, schüchtern irgendwie.
    »Komm rein, Fabio«, murmelte Amadeo.
    Die Tür öffnete sich
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