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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus
Autoren: Stephan M. Rother
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Ein Albtraum.
    Eine seltsame Ironie, dachte er, als er sich eine schneeweiße Porzellantasse von der Anrichte nahm und sie in die Maschine stellte. Ein Albtraum, aus dem ihn ein Albtraum ganz anderer Art aufgestört hatte, nachdrücklich und unwiderruflich. Der Albtraum und Helmbrechts Brief.
    Während seiner Grübeleien über dem Babylon-Text hatte Amadeo sich einen längeren Monolog zurechtgelegt, den er dem Professor vortragen würde, sobald er ihn zu fassen bekam. Manipulation, Erpressung, Rücksichtslosigkeit waren die Stichworte. Mangelnder wissenschaftlicher Anstand. Hätte er nur nicht allzu gut gewusst, wie Helmbrecht darauf reagieren würde. Mit waidwundem Blick würde der
alte Mann ihn ansehen und nur einen einzigen Satz sagen: Aber Sie hätten doch einfach Nein sagen können.
    Tatsache aber war, dass Amadeo dazu einfach nicht in der Lage war.
    Dieser Text war exakt jene Art von Geheimnis, der er sich nicht entziehen konnte, weil er von Geheimnissen nun einmal angezogen wurde wie ein Bergsteiger vom Gipfel eines Achttausenders. Hätte man ihn nach dem Warum gefragt, so hätte er auch keine befriedigendere Antwort geben können als der Bergsteiger: Weil er da war, der Berg. Weil es da war, das Geheimnis, weil es ihn ansprang, sich mit gefletschten Zähnen in sein Hirn verbiss.
    Und dies war nicht irgendein Geheimnis. Hier stand etwas auf dem Spiel - Helmbrechts Leben womöglich. Auch der Professor liebte Geheimnisse. Warum sollte er einen solchen Text nach mehr als einem halben Jahrhundert auf einmal aus der Hand geben? Vor Ihrem Tod …
    Amadeo schauderte. Das fadendünne bräunliche Rinnsal, in dem sich der dampfende caffè in seine Tasse ergoss, schien sich vor seinen Augen in einen strudelnden Mahlstrom zu verwandeln.
    Wir haben keine Zeit mehr. Und dann: Sie müssen die Kleinigkeiten im Auge behalten.
    Und im selben Augenblick hatte Amadeo gespürt, dass sich in seinem Rücken etwas näherte, und er hatte sich umgedreht. Und was er gesehen hatte …
    »Capo?«
    Mit einem Keuchen fuhr er herum. Eine etwas füllige junge Frau mit einem Kurzhaarschnitt. Gianna. Gianna gehörte zum Urgestein der officina , Amadeo kannte sie seit Jahren. Neu war der skeptische Blick, mit dem sie ihn musterte. Mit Sicherheit zeichnete das Entsetzen sich auf seinen Zügen ab.

    »Ich bin in Ordnung«, versicherte er ihr, bevor sie noch zum Fragen kam.
    »Wenn Sie das sagen«, erwiderte sie mit Zweifel in der Stimme.
    Gianna hatte etwas Mütterliches an sich, keine Frage. Nach ihrer dritten Babypause hatte sie im Sommer die Arbeit wieder aufgenommen, während ihr Mann sich um die Kleinen kümmerte: Raffaelo, Leonardo und Michel Angelo. Amadeo hatte schon gegrübelt, ob wohl noch ein Tiziano nachkommen würde … Oder ob die beiden für ein Mädchen bei der Namensgebung variieren würden: Frida Kahlo vielleicht?
    »Wenn ich Sie mal stören darf?«, fragte sie vorsichtig.
    Amadeo nickte. Jetzt hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Gianna, Sie stören doch nie«, log er und griff nach dem caffè . »Sie haben den Staufercodex am Wickel?«
    Sie nickte. »Den von den Suevi , meinen Sie? Ja. Ich hatte gehofft, dass ich das wieder hinkriege mit der ursprünglichen Bindung, aber schauen Sie selbst …« Die junge Frau wies über die Schulter. »Da ist nichts zu machen.«
    » Porca miseria «, murmelte Amadeo. Bestürzt musterte er den Stapel mehr oder weniger fliegender Blätter. Der Codex stammte aus dem dreizehnten Jahrhundert, vom Hofe des kultivierten Stauferkaisers Friedrich II. noch dazu, Amadeos heimlichem historischem Idol. Eines jener Stücke, über die sich der Restaurator am liebsten persönlich hergemacht hätte, und eigentlich hatte der Einband sogar recht gut erhalten ausgesehen, als er in der officina eingetroffen war, wobei erhalten in diesem Fall ein eher relativer Begriff war. Der Auftraggeber, ein Museum auf Sizilien, hatte den Wunsch geäußert, man solle in dem voluminösen Codex tatsächlich wieder blättern können. Ausgeschlossen. Jetzt sah es Amadeo auf den ersten Blick.

    Gianna traf dabei keine Schuld. Die Bindearbeiten des Hochmittelalters waren zwar von einer Qualität, von der die moderne Fließbandproduktion nur träumen konnte, doch irgendwann gingen auch der festeste Ledereinband und die robusteste Fadenheftung den Weg alles Irdischen.
    »Dann müssen wir tricksen«, sagte er nachdenklich. »Binden Sie ihn neu, Gianna, aber außen setzen Sie den ursprünglichen Einband vor. Die Pergamente …« Er
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