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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus
Autoren: Stephan M. Rother
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seinen Engel senden und ihre Sprache verwirren.«
    Und so stieg mit einem Gefaesse der Engel des HErrn hinab zu den Menschen, die wohnten zu Fuessen der Berge, und es wurde freigelassen die Seuche, auf dass den Menschen so ihre einerlei Sprache und einerlei Wort genommen werde. So zerstreute sie der HErr von Sinear in alle Laender, dass sie ablassen mussten davon, eine Stadt zu bauen.
    Weil er nun indes zwar gedachte, die Sprache zu verwirren, jedoch den Menschen, den er geschaffen hatte nach seinem Bild, zu schonen, wurde entsandt mit einem zweiten Gefaesse ein neuer Engel des HErrn, und so wurden sie alle geheilt von der Seuche.
    Es misstrauten jedoch einige der Gabe des HErrn und verbargen diese an einem fremden Ort, der hier verzeichnet ist.
     
    »… der hier verzeichnet ist.« Automatisch hatte Amadeo die letzten Worte leise vorgelesen.
    Er blickte auf das Schreiben.
    Da war nichts verzeichnet.
    Was zur Hölle sollte das? Was wollte ihm der Professor
mitteilen? Lesen! Lösen! Herbringen! - Lesen? Das hier? Das hatte er getan. Was lösen? Was herbringen? Helmbrecht konnte doch nicht ernsthaft …
    »Das ist wie ein Traum«, flüsterte Amadeo. »Ein sehr, sehr merkwürdiger Traum.«
    Er widerstand dem Impuls, sich in den Arm zu kneifen. Nein, er träumte nicht mehr. Das hier war die Wirklichkeit, eine surreale, unerklärliche Wirklichkeit, in der er jede Unebenheit des Blattes spüren, die feinen Erhebungen erkennen konnte, mit denen sich Punkte und Kommata durchs Papier gedrückt hatten.
    Durchs Papier!
    Amadeo drehte das Blatt um.
    Da war noch mehr! Ein kurzer Absatz auf der Rückseite.
    Lieber Ingolf Helmbrecht,
     
    ich glaube, dass Sie der Richtige sind. Fragen Sie nicht, was das hier zu bedeuten hat.
    Versuchen Sie nicht, mich zu kontaktieren. Ich werde Ihnen nicht antworten.
    Finden Sie die Lösung und handeln Sie danach.
    Wenn Ihnen das bis zu Ihrem Tode nicht gelingt, geben Sie diesen Text weiter an denjenigen, den Sie für den - nach Ihnen - größten Geist Ihrer Zeit halten.
     
    Mit freundlichen Grüßen
    Amadeo kniff die Augen zusammen. Der Name des Absenders war per Hand vermerkt, und er brauchte einen Moment, um die Unterschrift zu deuten.
    » Albert Einstein «, murmelte er.

    Amadeo war es eiskalt.
    Diese Geschichte war keine Nachricht von Helmbrecht.
    Sie war eine Nachricht an Helmbrecht.
    Eine Nachricht von Albert Einstein, dem großen Physiker, dem Entdecker der Relativitätstheorie: m mal c, Masse mal Beschleunigung, im Quadrat. Albert Einstein, der irgendwann um die Mitte des letzten Jahrhunderts gestorben war.
    Das erklärte das Alter des Papiers.
    Wie Helmbrecht zu diesem Schreiben gekommen war, erklärte es nicht, genauso wenig wie es die krude Geschichte erklärte, von der das Schriftstück berichtete: die Erzählung vom Turmbau zu Babel mit einem zusätzlichen Schlenker um eine göttliche Seuche samt zugehörigem Heilmittel am Ende, das die Babylonier sonst wohin geschleppt hatten.
    Doch diese Geschichte war in Amadeos Bewusstsein vollständig an den Rand gerückt. An einem einzelnen Satz, einer einzelnen Formulierung auf der Rückseite, hatten seine Augen sich festgesaugt und wollten sich nicht wieder lösen.
    Wenn Ihnen das bis zu Ihrem Tode nicht gelingt, geben Sie diesen Brief weiter.
    Amadeo hielt das Schreiben in den Händen - das sagte alles. Helmbrecht hatte den Brief weitergegeben.
    » Maledetto! «, flüsterte er. »Professor!«
    Er hatte Helmbrecht gesehen, vor ein paar Minuten erst, in einem Traum, der auf eine so erschreckende Weise wirklich, lebendig erschienen war, dass Amadeo noch immer Mühe hatte, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Zu sehr glich diese Wirklichkeit einer irrwitzigen Fortsetzung des Traumgeschehens: die vorsintflutliche Taschenuhr, die Helmbrecht in der Hand gehalten hatte wie das Kaninchen aus Alice im Wunderland, seine Worte: Wir haben keine Zeit mehr . Und nun hatte Amadeo einen Brief vor sich, den Helmbrecht vor seinem Tod unbedingt noch hatte weitergeben sollen.

    Mechanisch griff er nach einem Kasten mit Karteikarten: H wie Helmbrecht. Drei verschiedene Nummern waren vermerkt. Mit zitternden Fingern wählte Amadeo den Büroanschluss des alten Mannes, wartete, dass die Verbindung über die Alpen sich aufbaute. Das Freizeichen. Er wartete … und wartete. Eineinhalb Jahre seines Lebens hatte er in Weimar mit Helmbrecht zusammengearbeitet. Er wusste, dass die Telefonanlage des Instituts nach viermal Klingeln auf die Zentrale umschaltete. Also
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