Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Crazy Moon

Crazy Moon

Titel: Crazy Moon
Autoren: Sarah Dessen
Vom Netzwerk:
|5| 1
    Hallo, ich heiße Nicole Sparks. Und so begannen die ätzendsten Sommerferien meines Lebens: »Ach Colie, jetzt schau doch bitte nicht so gequält!« Mit kummervoller Miene eilte meine Mutter über den Bahnsteig auf mich zu, während ihre Assistentin, die in der Nähe des Ausgangs wartete, einen bedeutsamen Blick auf ihre Armbanduhr warf. Meine Mutter trug einen ihrer hautengen Aerobic-Anzüge mit dem Fly-Kiki-Logo; er war rot-violett und sie sah darin aus wie eine auf Hochglanz polierte Weintraube.
    »Tu mir den Gefallen, Colie, hörst du?«
    Ich verschränkte also die Arme noch fester über der Brust und schenkte ihr mein reizendstes Lächeln.
    »Gott, das ist ja noch schlimmer.« Meine Mutter seufzte. »Mit
der
Haarfarbe und dem Ding in deiner Lippe siehst du einfach schrecklich aus. Da nützt das schönste Lächeln nichts.« Sie baute sich dicht vor mir auf. Ihre Sneakers quietschten über den Asphalt wie Mickeymäuse. Sie waren genauso brandneu wie das Weintrauben-Outfit. »Ich will nur dein Bestes, mein Schatz, das weißt du doch. Und du kannst unmöglich den ganzen Sommer über allein zu Hause bleiben. Du würdest dich schrecklich einsam fühlen.«
    |6| »Ich habe Freunde, Mama.«
    Zweifelnd legte sie den Kopf schief. »Ach Schätzchen«, wiederholte sie, »es ist die beste Lösung, glaube mir.«
    Die beste Lösung für dich,
dachte ich. Das Problem mit meiner Mutter ist, dass sie immer nur das Beste will, für jeden. Aber dabei bleibt’s auch, weiter kommt sie nie.
    »Kiki!« Die Assistentin meldete sich zu Wort. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, ihren Namen zu behalten, da sie bei meiner Rückkehr ohnehin nicht mehr da sein würde. Vermutlich kam sie nicht einmal mehr bis zum Flughafen, sondern wurde unterwegs gefeuert. »Kiki, wenn wir den Flug nicht verpassen wollen, müssen wir dringend los.«
    »Jaja, ich komme.« Meine Mutter stemmte die Hände in die Hüften – eine klassische Kiki-Sparks-Aerobic-Pose – und musterte mich von oben bis unten. »Mach bitte weiter jeden Tag Sport. Es wäre jammerschade, wenn du wieder an Gewicht zulegen würdest, wo du gerade so schön abgenommen hast.«
    »Ja.«
    »Und pass auf, was du isst. Du hast alles dabei, was du brauchst, sämtliche Kiki-Produkte, damit du dich auch bei Mira gesund ernähren kannst. Ich habe dir genau erklärt, wie’s geht.«
    »Ja, du hast mir alles genau erklärt.«
    Sie ließ die Arme wieder sinken und einen flüchtigen Augenblick lang sah ich meine Mutter. Nicht Kiki Sparks, Königin der Gesundheitsapostel und Fitnesstrainerin eines Millionenpublikums. Nicht Kiki, die Talkshow-Moderatorin, nicht Kiki, die Werbetante, nicht die Kiki, deren Lächeln unzählige Packungen von Diätmittelchen |7| schmückte, und zwar auf der ganzen Welt. Nein, schlicht und einfach meine Mama.
    Aber im selben Augenblick fuhr der Zug ein.
    »Colie, mein Schatz!« Sie zog mich an sich und vergrub ihr Gesicht in meinem pechschwarzen Haar, bei dessen Anblick sie heute Morgen, als ich zum Frühstück kam, fast einen Nervenzusammenbruch gehabt hatte. »Bitte sei mir nicht böse, okay?«
    Ich erwiderte ihre Umarmung, obwohl ich mir geschworen hatte es nicht zu tun. Stattdessen hatte ich mir vorgestellt, wie ich grimmig schweigend einsteigen würde, damit das Letzte, was sie von mir sah, während der Zug anfuhr, mein wütendes Gesicht am Fenster wäre. Mit diesem Bild vor Augen sollte sie ihre Reise antreten, ihre »Fly Kiki Fitness Summer Tour« durch Europa. Aber ich war in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil meiner Mutter.
Ich
wollte zum Beispiel immer nur das Schlechteste. Und dabei blieb’s dann meistens auch, weiter kam ich nie.
    »Ich hab dich lieb«, flüsterte sie mir ins Ohr, bevor ich einstieg.
    Dann nimm mich mit,
dachte ich. Sie wischte sich zwar rasch über die Augen, zog sich jedoch bereits von mir zurück. Und ich wusste: Wenn ich die Worte jetzt aussprach, würden sie bleiern zwischen uns auf den Boden fallen und mehr Probleme verursachen, als sie wert waren.
    Deshalb sagte ich stattdessen: »Ich hab dich auch lieb.«
    Als ich meinen Platz gefunden hatte und aus dem Zugfenster schaute, stand sie am anderen Ende des Bahnsteigs neben ihrer Assistentin, die nervös von einem Fuß |8| auf den anderen hampelte. Meine Mutter winkte, eine energische Erscheinung in Rot-Violett, und ich winkte zurück, obwohl der Kloß in meinem Hals immer größer wurde und heftig pulsierte. Ich setzte die Kopfhörer meines Walkmans auf, drehte die Musik auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher