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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital
Autoren: Michael Kleeberg
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die Widderhörner zu beiden Seiten des Kopfes, die Mäuler mit den atmenden, sich rhythmisch blähenden und zusammenziehenden Nüstern, schwimmen, aufgereiht wie schwarze Perlen an einer Schnur, in gerader Linie dicht hintereinander her, keine drei Meter an ihrem Einbaum vorüber.
    Sie haben etwas Eifriges, Zielstrebiges und ungeheuer Zartes und Verletzliches - vielleicht rührt dieser Eindruck von ihren ein wenig steif in die Atemluft gereckten Nasen und ihrer geraden Bahn her. Nichts scheint sie vom Wege abbringen zu können. Sie sind rührend wie folgsame Kinder. Ihr warmes Schnaufen ist deutlich zu hören - der kostbare Klang des Lebens.
    Und wirklich nickte der Junge im Heck, als er sich zu ihm umgedreht und beglückt auf die fünf Tiere gedeutet hatte, und wies mit dem Arm zum Dorf hinüber. Yes, swim home, sagte er. Sie schwimmen nach Hause. Und
dieses Wort und der Anblick der mächtigen Büffel, die vertrauensvoll und seelenruhig heim strebten, hatten ihm die Tränen in die Augen getrieben.
    Verzeihen Sie, ich wollte nicht lauschen, sprach sie ihr weißbärtiger Tischnachbar an, aber mir scheint, ich habe Sie von den Marschen im Südirak sprechen hören …
    Cote nickte.
    Ich weiß nicht, wann Sie dort waren, aber ich war vor zwei Monaten dort, verzeihen Sie, Verhaeghe, ich arbeite für die WHO, ich habe so ein Elend in meinem Leben noch nicht gesehen, Saddam lässt die gesamten Marschen trockenlegen, aus purer Rache, er baut Dämme, er leitet die Ölquellen in den Hammarsee, er bringt die Leute um! Nach meinen Informationen sind jetzt schon mehr als zehntausend Ma’dan tot oder in Lagern, hunderttausend sind gezwungen fortzugehen, weil ihre Lebensgrundlagen zerstört werden, jeden Tag ein Stück mehr. Das ist eine fünftausend Jahre alte Kulturlandschaft, und in zehn Jahren wird nichts davon übrig sein, nichts mehr!
    Hélène und Cote sahen den Mann an, und seine Begleiterin legte die Hand auf seinen Unterarm, aber er ließ sich nicht beruhigen.
    Es ist jetzt schon die größte ökologische Katastrophe des Jahrhunderts, sagte der Mann. Dahin müsste die UNO eine Armee schicken! Noch heute, um das Allerschlimmste zu verhüten. Und ich würde mitgehen! Und schießen würde ich auch!, rief er. Und dann, als müsse er sich selbst zur Ordnung rufen: Und wer ist schuld daran? Die verdammten Amis! Die verdammten Amerikaner, die 1991 die Ma’dan aufgewiegelt haben, gegen Saddam zu
rebellieren, und sie dann schmählich im Stich gelassen haben!
    Cote sagte nichts, aber Hélène erwiderte: Nun, mir scheint, wenn Saddam Hussein die Marschen trockenlegen lässt und die Menschen tötet und die Umwelt verseucht, dann ist es doch wohl zunächst einmal die Schuld Saddams!
    Der WHO-Mann winkte müde ab. Wir wollen nicht darüber streiten, wessen Schuld es ist. Verzeihen Sie meine Aufwallung. Aber es schreit zum Himmel.
    Und dann sagte er es noch einmal, alle drei nacheinander anblickend, verzweifelt und hilflos: Es schreit zum Himmel!
    Alle schwiegen bedrückt. Um die Wogen zu glätten, wandte Hélène sich an die Frau: Sind Sie hier auch wegen des Streiks gestrandet?
    Die nahm den Ball dankbar auf. Oh ja. Unser Taxifahrer hat uns hinter der Gare Saint-Lazare ausgesetzt, weil kein Weiterkommen mehr war. Wir wollen eigentlich heute Abend noch bis Vincennes kommen.
    Wir gehen erst einmal irgendwo Abend essen, sagte der Mann. Und dann haben wir vorhin gehört, dass die Bateaux-Mouches angeblich einen Fährdienst eingerichtet haben, einen Notdienst mit ihren Ausflugsschiffen zwischen Maison de la Radio und Bercy. Da werden wir’s dann noch mal versuchen …
    Am Nebentisch drehte sich ein schwarzer Fahrradkurier zu ihnen um, schluckte im Nicken hastig seinen Bissen hinunter und sagte dann mit würgender Stimme: Das stimmt. Die Bateaux-Mouches machen Fährverkehr. Hin und her. Ich bin vorhin am Anleger Alma vorbeigekommen.
Was für eine Schau. Menschenmassen. Aber immerhin …
    Hélène rief den Kellner, um zu zahlen, und sagte zu Cote: Dann wissen wir ja, wohin wir gehen müssen.
    In die schmale Rue La Boétie fiel der Schnee, und die Autos steckten im Stau, aber es waren nicht viele Leute unterwegs. Das änderte sich, als sie am massigen Säulenportal der einem griechischen Tempel nachempfundenen Kirche Saint-Philippe-du-Roule vorüberkamen und in die Rue de Courcelles einbogen, Richtung Champs-Elysées. Der Menschenstrom hier schwoll an zu einer dichten Masse, die sich wie bei einer Großdemonstration in engen Reihen
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