Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital
Autoren: Michael Kleeberg
Vom Netzwerk:
das schwarze Fell der Flanken von vorn nach hinten, als erwache eine Statue an ihrer Peripherie zum Leben, und verscheucht die Mücken und Fliegen. Auf dem Rücken des Urtiers, das sein aufgeworfenes, feuchtes Maul in den Wind hebt, als es ihn an Land gehen sieht, liegt schlummernd oder dösend, lang hingestreckt, ein kleines Mädchen in einem kobaltblauen Wickelkleid, das lange schwarze Haar fällt über den Nacken des Tiers, ein Bein des Mädchens hängt träge
an seiner Flanke herunter, von Zeit zu Zeit beschirmt es mit einer Hand die Augen und blinzelt ins Licht. Sanft wie ein Lamm lässt der Büffel sich von dem Kind als Sänfte, als Chaiselongue benutzen.
    Die anderen waren natürlich schon in der großen Mudhif, dem Repräsentationshaus des Sheiks, sagte der Amerikaner. Ein riesiger Tunnel aus Riedmatten, die über Schilfbündel gespannt sind, eine perfekt regelmäßige und sauber konstruierte gelbe Höhle, fast zwanzig Meter tief. In der Mitte über der Feuerstelle wurde Kaffee gebraut, die Herren saßen auf Teppichen und Brokatkissen, und ein großes Feuer aus Weidenästen brannte. An den Wänden kleine, bunte Lampen, und der hintere Ausgang verschwamm in einem Licht wie geschmolzenes Gold oder aus den Waben tropfender Honig. Sie waren schon in medias res, als ich eintrat, der ganze Besuch diente ja dazu herauszufinden, ob und wie weit man die Schiiten dazu motivieren und mobilisieren könne, sich gegen Saddam zu erheben. Der Sheik, ein alter Mann mit Gesichtsfalten, die wie mit dem Schnitzmesser in weiches Holz gezogen waren, und einem weißen Kopftuch mit schwarzem Rautenmuster, hob seinen Arm und deutete nach Norden. Dann mit dem anderen weitausholend auf meine Stabsoffiziere: Now you go Bagdad, kill the great Satan Saddam. Er hatte eine heisere Stimme, und nach den paar Brocken Englisch redete er auf Arabisch weiter, und der Übersetzer erklärte, Saddam sei ein Ungläubiger und gehöre deshalb mitsamt seinen Helfern umgebracht. Ich gestehe, ich habe nur halb zugehört, ich wollte raus und mir noch länger die Gegend ansehen. Hinterher bekamen wir Labne zu essen, eine Art Joghurt
aus Büffelmilch, und als ich darum bat, wurde mir ein Junge gerufen, der mich in seinem Sajah, einem kleinen Einbaum, durch die Marschen ruderte. Ich wollte Vögel sehen.
    Da ist die Frau von der Hütte, umstanden von kleinen Mädchen, alle tragen sie jettschwarze Kleider. Die Frau hockt an einem vorsintflutlichen Webstuhl, der aussieht wie ein großes, liegendes Saiteninstrument, die archaische, mit bunten Saiten bespannte Laute eines Riesen.
    Da ist das lautlose Gleiten durch die Kanäle, vorüber an mannshohem Schilf, das sich in der Brise wiegt und sich dann auftut wie ein Vorhang auf die Kulisse des Sees. Da schwimmen Tausende Marmelenten und Krickenten. Pelikane, das weiße Gefieder rosig gegen die sinkende Sonne, flattern schwerfällig aus dem Ried. Da sind die Schreie von Fischadlern, hoch oben im Blau über dem Wasser kreisend. Spitzschnäblige Kormorane schießen wie schwarze Pfeile ins Wasser und tauchen aus den Ringen, die sie selbst erzeugt haben, empor, einen silbernen Fisch quer im Schnabel. Kleine Rieddrosslinge sitzen wie Tautropfen im Schilf und singen. Da sind die Brachvögel mit ihren wunderbar schmalen, abwärtsgebogenen Sichelschnäbeln, die über die kleinen Inselchen stolzieren und den Schnabel in den feuchten Boden bohren.
    In einer flachen Bucht, bedeckt vom welken Laub kleiner Wasserlilien, stehen zwei Büffel bis zum Bauch im Wasser und kauen friedlich die Lilienblätter. Und dann ist da, viel zu früh, der Sonnenuntergang hinter den Riedinseln, die bis ans Ende der Welt reichen. Hoch oben am Himmel weiße Zirrus-Schleier, vom Wind ausgefranst, mit einer Bordüre, die von Schwarz bis zu flammendem
Gold changiert, dann zur Farbe alten Elfenbeins verblasst, das alles vor einem Hintergrund aus Zinnoberrot und Orange, Violett, Mauve und fahlstem Grün. Von allen Seiten, als sei es der Atem der Marschen, schallt das sonore Gequake von Fröschen, ein pulsierender Klang, so intensiv und gleichmäßig, dass er bald gar nicht mehr wahrzunehmen ist.
    Vom Dorf her bellt ein Hund, und ein Büffel muht in schmerzlich heller Fanfare, die an das Geschrei eines Kamels erinnert. Und dann, eine Hand im perlmuttfarbenen Wasser bei den herumschießenden Quecksilberkugeln der Fische, dann sieht er sie: fünf Wasserbüffel, besser gesagt nur die in den Nacken gereckten Köpfe von fünf Wasserbüffeln und ihre Schultern,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher