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Das Aktmodell

Das Aktmodell

Titel: Das Aktmodell
Autoren: Jina Bacarr
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anfühlten, das Geländer unter seinen Fingern … er ahnte, dass das die geheime Treppe war, auf der er Autumn finden würde.
    Ich zittere, als kalte Finger sich besitzergreifend um meine Schultern legen und mich nach vorn drängen. Blinde Hände, tastend, fühlend. Sanftes Flüstern, aber dennoch fordernd. Die Stimmen geben mir zu verstehen, dass meine Zeit in diesem Jahrhundert beendet ist. Dass ich keinen Widerstand leisten soll. Keinen Widerstand?
    Auf keinen Fall will ich wieder in meine reale Zeit zurückkehren! Ohne Paul. Aus welchem Grund? Um ohne ihn zu leben? Den einzigen Mann, den ich jemals geliebt habe? Das kann ich nicht! Das will ich nicht!
    Als ob die Schicksalsgötter meine Gedanken erraten hätten, zieht diese unsichtbare Kraft nun härter an mir, reißt meinen Kopf zurück, und ich falle fast auf die Knie. Eine klamme Kälte schlingt sich langsam um meinen Körper, wie die schimmelige Hülle einer alten Mumie, die gerade aus dem Grab entstiegen ist.
    Es ist der ägyptische Gott Min. Seine schwarze Magie zieht mich zurück. Ihm habe ich meine Seele verkauft, als ich jung und schön sein wollte. Ich habe den Zauber gebrochen, als ich mich in Paul Borquet verliebte, und jetzt muss ich dafür zahlen.
    Dann stimmt es also. Paul ist tatsächlich in einem Feuer umgekommen, als er die Frau retten wollte, die er liebte. Genau wie es mir der alte Künstler erzählt hat. Eine tiefe Traurigkeit zieht mich nach unten. Bin ich auch gestorben? Oder gibt es da noch ein anderes Ende?
    Ich werde niemals aufgeben.
    Ich ziehe den weichen Stoff noch fester um meine Schultern. Etwas drückt sich an mich, mit kaltem, frostigem Atem, der mir in den Nacken bläst. Ich beginne zu zittern und kann gar nicht mehr aufhören. Obwohl es vor Feuchtigkeit nass ist, bietet das samtige Material mir doch ein wenig Schutz vor … vor was? Ich kann nichts sehen. Nicht der kleinste Schimmer durchdringt die Dunkelheit. Etwas ist merkwürdig hier. Nichts, was ich anfassen, riechen oder schmecken kann, aber mein Bewusstsein scheint sich zu verändern. Als ob ich tief in mich hineintauche, in den Abgrund meiner Seele.
    Oh, das ist doch verrückt. Die Arme über meiner Brust verschränkt, versuche ich mich warm zu halten. Es ist einfach ein kaltes, feuchtes Treppenhaus, das ist alles. Keine übernatürliche Brücke zwischen Leben und … was? Tod?
    “Autumn. Autumn!”
    Lauschend halte ich inne. Das muss Paul sein. Seine Stimme klingt sehr entstellt, so als ob sie mechanisch verzerrt wird. Dann ebbt seine Stimme ab, wird immer langsamer und langsamer. Wie eine alte Schallplatte, die an Geschwindigkeit verliert.
    Bevor ich einen weiteren Schritt tun kann, rutschen meine Füße unter mir weg, als ob ich fiele, wie in einem rollenden Fass in einem Vergnügungspark. Meine Haare wehen um meinen Kopf, als ob ich in einem Windkanal stünde. Die Kraft des Windes ist so stark, dass der Samtumhang von meinen Schultern weht und über die Treppe fliegt. Instinktiv bedecke ich meine nackten Brüste mit beiden Händen, und die Petticoats blähen sich um mich auf. Selbst meine Zähne tun mir weh, und ich kann kaum atmen.
    Nur mit Mühe kann ich die Balance halten, als ich versuche, mich umzudrehen. Aber eine starke Kraft schließt sich um meine Kehle, und ein heftiger Windstoß fegt mich die Treppe runter, immer weiter nach unten …
    Ich falle, überschlage mich mehrmals, schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen, rauben mir jegliche Hoffnung, als ich ungelenk, unaufhaltsam die Treppe hinunter und in ein zeitloses Vakuum geschleudert werde.
    Paul konnte nichts sehen. Panik überfiel ihn, aber er wollte nicht aufgeben. Ganz egal wie sehr ihn sein Körper schmerzte, wie ausgelaugt er war, er musste weitermachen. Sie finden.
    Er stolperte über den Boden, der sich unter ihm zu bewegen schien, und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Mühsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Die Treppe veränderte sich, wurde flach, erschwerte ihm den Aufstieg. Etwas Weiches flog ihm ins Gesicht, es fühlte sich wie Samt an. Paul wollte danach greifen, aber er konnte es nicht festhalten.
    Gegen den teuflischen Wind, der ihm ins Gesicht blies, rannte er die Treppenstufen nach oben, schwankend, immer wieder um sein Gleichgewicht kämpfend. Er war entschlossen, sich durch den angreifenden Wind zu kämpfen, der von allen Seiten an ihm zog wie eine lebende Kreatur. Er dachte nicht an sich. Nur an Autumn. Noch nie war ihm ein anderer Mensch so wichtig gewesen wie sie.
    Als
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