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Stuermischer Zauber

Stuermischer Zauber

Titel: Stuermischer Zauber
Autoren: Mary Jo Putney
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Prolog
     
     
    Harlowe Place
    Hertfordshire, England
    November 1737
     
    Der herbstliche Regen rauschte vom Himmel und bildete die perfekte Kulisse für den Tod. Gwyneth Owens war dankbar, dass der Brauch die Frauen vom offenen Grab fernhielt, denn sie wäre nicht in der Lage gewesen, Haltung zu wahren, während ihr Vater in die feuchte Erde gelegt wurde.
    Wie so oft suchte sie Schutz in der Bibliothek von Lord Brecon. Ihr Vater, Robert Owens, war seit fast dreißig Jahren der Bibliothekar Seiner Lordschaft gewesen, und Gwynne war zwischen den gesammelten Buchschätzen aufgewachsen.
    Leicht strichen ihre Fingerspitzen über die goldgeprägten Ledereinbände in der Abteilung, in der die Reiseberichte standen. Ihr Vater hatte immer gesagt, ein wohleingerichteter Geist sei der beste Schutz gegen Einsamkeit. Sie hoffte, dass er recht behielt, denn sie bedurfte in diesem Moment dieses Trostes.
    Während sie an der südlichen Wand entlangging, erhaschte sie einen Blick in den Spiegel, der über der Feuerstelle hing. Sie wandte sich ab, weil sie den Anblick ihrer hochgewachsenen Gestalt und ihres grellen Haares nicht ertrug. Zu schade, dass sie weder die Macht ihres Vaters noch die Schönheit ihrer Mutter geerbt hatte!
    Vielleicht half es ihr, die ruhelose Spannung loszuwerden, wenn sie in halsbrecherischem Tempo über die Hügel von Harlowe galoppierte, aber das war im Moment nicht möglich.
    Denn schon bald würde man sie auffordern, nach unten zu kommen und die Gemeinde der Trauernden anzuführen, die sich für eine kleine Andacht zu Ehren ihres Vaters versammelte. Doch sie musste sich irgendwie beschäftigen, und so betrat sie die angrenzende Galerie, die sowohl als private Bibliothek als auch als Arbeitszimmer ihres Vaters diente.
    Ein schwaches, kaum wahrnehmbares energetisches Knistern raste über ihre Haut, als sie den Raum betrat. Die lang gestreckte Kammer barg in den Regalen an den hohen Wänden die wertvollste Sammlung von Büchern und Manuskripten über Magie, die es in ganz England gab. Die Bücher verkörperten auch die Geschichte und Weisheit der uralten Wächterfamilien, die auf den britischen Inseln lebten.
    Die Wächter waren der Clan ihres Vaters. Sie waren menschlich, doch verfügte jeder von ihnen über magische Kräfte. Seit undenkbarer Zeit lebten sie unerkannt unter den Irdischen. Gwynne war als Wächterin erzogen worden, weil sie vom selben Blut war wie ihr Vater. Doch sie selbst besaß keine magischen Kräfte. Dennoch war sie dankbar, Teil der Familien zu sein, denn die Frauen der Wächter waren ihren Partnern gleichberechtigt, wie es den Frauen der Irdischen nicht erlaubt war. Dieser Brauch bestand seit früher Zeit, denn die Wächterinnen verfügten über Zauberkräfte, die die Kräfte der Männer ergänzten oder sogar überflügelten.
    Wächter nannten sie sich, weil sie einen Eid geschworen hatten, ihre Macht nur zu benutzen, um ihren Gefährten zu dienen und sie so gut wie möglich zu beschützen. Weil sie sich dieser Aufgabe verschrieben hatten, verehrten die Wächter die Geschichte und hegten die Hoffnung, mit dem Wissen um die Vergangenheit frühere Fehler zu vermeiden.
    Manchmal gelang es.
    Als Hüter der Weisheit war der Earl of Brecon verantwortlich für die wertvollen Bücher und Manuskripte. Im Alter von sechs Jahren hatte Gwynne begonnen, ihrem Vater bei der Pflege der Bücher zu helfen. Sie hatte damit angefangen, die Bücher abzustauben, und die Bände so vorsichtig behandelt, als handelte es sich um zartes Porzellan. Später kopierte sie Texte von zerbröselnden Buchseiten auf neues Pergament und lernte die Geheimnisse der Konservierung.
    Ihr Blick glitt über die Regale. Es war schade, denn sie wusste, dass sie die Bücher schmerzlich vermissen würde, wenn sie das Anwesen verließ. Wenn man bedachte, wie wichtig die Sammlung war, wurde sicher bald ein neuer Bibliothekar eingestellt. Sie musste sich auf die Veränderung vorbereiten und die persönlichen Besitztümer ihres Vaters wegräumen.
    Zumindest würde man sie nicht mittellos in die Welt hinausschicken. Die Wächter kümmerten sich um ihresgleichen. Irgendwo fand sich schon eine Stellung für Robert Owens unscheinbare Tochter. Mit etwas Glück würde diese Stellung in Harlowe sein. Dies war der einzige Ort, den sie je als Zuhause gekannt hatte. Aber sie wagte kaum, darauf zu hoffen.
    Mit einem leisen Maunzen sprang ihre dicke Tigerkatze Athena auf den Schreibtisch und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Getröstet von der
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