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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still
Autoren: Christa von Bernuth
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Zukunftsträume, über jene seltsamen, elementaren Ängste, die niemand verstehen konnte, dessen Leben sich hauptsächlich tagsüber abspielte.
    Eigentlich fühlte er sich mit Janosch befreundet. Doch es war immer das Gleiche: Sobald die Arbeit beendet war, schienen sie sich plötzlich nichts mehr zu sagen zu haben. Empfand das Janosch auch als irritierend? Ging es den anderen mit ihren Partnern genauso? War das der heimliche Sinn ihrer allnächtlichen Treffen? Zusammenzukommen, um gemeinsam das große Schweigen zu brechen? David hatte den Verdacht, dass es genau so war, aber darüber würde er mit niemandem sprechen können. Man sprach nicht über so etwas.
    Er rutschte unbehaglich hin und her und sah auf die Uhr. Seine Augen brannten vor Müdigkeit; plötzlich wollte er nur noch nach Hause ins Bett.
    »Kann ich heute das Auto nehmen?«, fragte er Janosch.
    »Natürlich. Du bist ja dran.«
    »Danke.« Einer von beiden fuhr mit ihrem Dienstwagen nach Hause, der andere nahm sich auf Kostenstelle ein Taxi. Immer abwechselnd. Dafür holte jeweils der, der an der Reihe war, den anderen am nächsten Abend zur neuen Schicht ab.
    »Ich geh jetzt«, sagte David. »Das dauert mir zu lange mit den anderen.«
    »Kein Problem. Holst du mich um zehn?«
    »Klar. Bleibst du noch?«
    »Paar Minuten vielleicht. Ich trink nur noch aus.«
    Das hieß übersetzt: Ich nehm noch eins. David grinste und schlug Janosch in die geöffnete Hand.
    »Cool, Alter.«
    »Fick dich selber.« Ihre müden Gesichter erhellten sich für einen Moment.
    »Soll ich dir Zigaretten dalassen?«, fragte David.
    »Lass nur, ich hol mir selber noch welche.«
    Zwei Minuten später saß David in ihrem schwarzen 3er BMW, den sie im Halteverbot vor dem Palais geparkt hatten. Er startete den Wagen, schüttelte sich die hundertste in dieser Nacht aus der Schachtel, und drückte auf den Anzünder. Die Straßen waren so leer wie zu keiner anderen Tageszeit. Er genoss diese letzten zwanzig Minuten ganz allein mit sich. Der Anzünder sprang heraus, David hielt ihn an die aufglühende Zigarette und nahm einen tiefen Zug. Er fuhr los und legte eine neue CD ein. Die schwarze Popdiva, der man längst ansah, dass sie ein notorischer Crackhead war, sang von Angst und Mut und einem neuen Anfang, und bestimmt glaubte sie daran, so wie all die anderen Süchtigen. Ihre Stimme war immer noch stark und schön, aber das würde ihr bald auch nicht mehr helfen. David hatte schon viele Frauen kennen gelernt und abgeführt, die ähnlich aussahen und sich genauso benahmen wie sie – abgemagert, nervös, befeuert von einer wilden, krankhaften Energie, hoffnungslose Fälle, die im Sarg, in der Psychiatrie oder im Obdachlosenasyl endeten. Nun, Letzteres war bei ihr immerhin nicht zu befürchten.
    David ließ die Innenstadt hinter sich und fuhr auf den Ring Richtung Osten. Er bemühte sich, wach zu bleiben, aber seine Augenlider wurden schwer. Schließlich schaltete er auf einen Nachrichtensender um. Die trockene Stimme des Sprechers berichtete, dass die Zahl der Firmenpleiten dieses Jahr erneut einen Höchststand erreichen würde, was gleichermaßen für die Nettoverschuldung der Regierung galt. David hörte mit halbem Ohr zu; an Katastrophenberichte zum Zustand der Nation hatte er sich längst gewöhnt. Die verbotenen Geschäfte blühten wie nie zuvor, trotz oder gerade wegen Rezession und Zukunftsangst.
    Kurz vor seiner Wohnung bog er in eine Seitenstraße und fuhr auf das Gelände einer vor Jahren stillgelegten Papierfabrik, die demnächst abgerissen werden sollte. Ihm fiel auf, dass es dunkler war als sonst, aber er konnte sich keinen Reim darauf machen. Der Club, zu dem er wollte, befand sich in einer der alten Fabrikhallen im hinteren Teil des Geländes und war normalerweise bis acht Uhr morgens geöffnet. Ein-, zweimal hatte David hier noch in buchstäblich letzter Minute Beute gemacht (so nannten sie ihre Razzien: Beute machen, als handle es sich um ein Räuber-und-Gendarm-Spiel). Seither machte er häufig allein diesen Abstecher hierher, obwohl das eigentlich nicht erlaubt war, weil sie nicht zu zweit waren und dieser Club nicht zu seinem Revier gehörte. Aber danach fragte im Fall des Falles keiner.
    Der betonierte Platz vor der Halle war leer und dunkel. David bremste ein paar Meter von der Frontseite entfernt und stieg aus. Jetzt merkte er erst richtig, dass etwas ganz anders war als sonst. Grillen zirpten, und in der Ferne hörte man jemanden hupen und einen anderen mit
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