Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Damals warst du still

Titel: Damals warst du still
Autoren: Christa von Bernuth
Vom Netzwerk:
Märkisch-Oderland
    Erste Spur im Fall »Seejungfrau«
    Markheide – Offensichtlich hat die Kripo eine heiße Spur bezüglich des Mordes an Renate Willemsen, die damals erst achtzehn Jahre alt war. Sie führt »in den Süden«, gab Hauptkommissar Walter Eder auf einer Pressekonferenz bekannt. (…)
     
    Mein lieber Frank,
    ich würde gerne glauben, dass Gott Kinder wie Ferdinand besonders früh zu sich nimmt, damit die Welt sie nicht verderben kann. Ich weiß, das wäre kein Trost für dich, aber mir gäbe es Hoffnung.
    Mein jüngster Bruder hieß Karl. Auch in ihm war keine Lüge, nichts Falsches, nichts Berechnendes. Kann ein Kind gütig sein? Karl lächelte alle Menschen an, und er hat auch seine Mörder angelächelt. Ich bin überzeugt davon, dass er das tat, und ich hoffe, sein Lächeln verfolgt sie bis in ihre Albträume. Ich hoffe, ihr Tod wird lang und qualvoll und ihre Strafe schrecklich sein. Ich habe zum letzten Mal in meinem Leben geweint, als sie ihn abgeholt haben und er sich zu uns umdrehte, erstaunt, dass wir ihn mit diesen fremden Männern gehen ließen, wo wir ihm doch immer eingeschärft hatten, sich vor Fremden nicht sehen zu lassen. Immer schön in seinem Zimmerchen zu bleiben, besonders während seiner Anfälle. Sein liebes Gesicht ist in mein Gedächtnis eingebrannt, und mein einziger Trost besteht darin, dass er vielleicht nicht lange leiden musste.
    Wir haben Karl lange Zeit vor ihren Schergen verstecken können, aber als mein Vater, dein Großvater, fiel, hatte Karl seinen wichtigsten Beschützer verloren. Unser Vater lehrte uns Liebe und Fürsorglichkeit, die anderen lehrten uns Erbarmungslosigkeit. Vielleicht wäre Fabian anders geworden, wenn es sie nie gegeben hätte. Sie haben seine Seele vereist, bis er wurde wie sie, und dieser Prozess ist irreversibel.
    Sie haben Karl abgeholt, kurz bevor wir geflohen sind. Fabian hat ihn gemeldet und darum gebeten, ihn abzuholen. Er sagte, Karl mit seinen schrecklichen Anfällen wäre uns auf der geplanten Flucht ein Klotz am Bein, man würde uns vielleicht aufhalten und zurückschicken, wenn man ihn entdeckte, und da sei es doch besser, nur Karl zu opfern als die gesamte Familie. Die Familie als Ganzes sei doch wichtiger als Karl, der es ohnehin nie zu etwas bringen, der uns immer auf der Tasche liegen würde und das, wo wir doch ohnehin kaum genug zu essen für uns drei hatten. Die Regierung, sagte Fabian, würde für ihn sorgen. Ausgerechnet die Regierung, die bis zum bitteren Ende alle Unschuldigen in ihren Untergang mitnahm. Als die Männer in den weißen Kitteln kamen, um Karl abzuholen, salutierte Fabian vor ihnen. Und dann war er still. Sein Gesicht verschloss sich wie die Tür eines Tresors. Und als er Monate später wieder sprach, schien er ein anderer Mensch geworden zu sein.
    Nein, ich habe nichts unternommen, um ihn daran zu hindern. Ich war achtzehn, fünf Jahre älter und reifer als Fabian, und ich habe trotzdem nichts getan, um Karls Leben zu retten. Ich war zermürbt von den ewigen Bombenangriffen und wie hypnotisiert vor Angst – vor den Russen, vor der Zukunft, vor den vielen Feinden im eigenen Land. Ich habe mich dieser Angst gebeugt.
    Ich bin wie Lots Frau zu Stein geworden. Ich lache und weine nicht. Niemand liebt mich, und wenn ich nicht mehr existiere, werde ich keine Lücke hinterlassen. Es ist gut, dass du weit weg von mir aufgewachsen bist. Schuld frisst sich in die Seele, deformiert die Gefühle. Sie lässt sich nicht abtragen, und das, was sich als ehrliche Reue maskiert, ist nur der selbstsüchtige Impuls, Mitleid zu erregen. Es gibt keine Vergeltung, die meiner Sünde angemessen wäre.
    Aber ich gebe etwas weiter, Frank, und davor muss ich dich warnen. Gib Acht auf deine Kinder, erziehe sie zu Liebe und Verzeihen. In der Bibel steht, Schuld überträgt sich bis ins siebte Glied, aber ich glaube, sie ist in Wirklichkeit unsterblich.
     
    Siehst du die Kopie? Das Original bekommt, zusammen mit einer Abschrift von diesem Brief, ein Notar, der es nach meinem Tod veröffentlichen wird.
    Deine Mutter

DANKSAGUNG!
    Ohne die Hilfe der folgenden Personen hätte dieses Buch nicht
entstehen können, deshalb danke ich:
Wolfgang Schöbel für seine wertvollen Ideen und seine
ehrliche Kritik
Matthias Schranner für seine faszinierende Geschichte
Barbara Heinzius für ihr kompetentes Lektorat
Hagen Schnauss für Informationen aus einem
verschwundenen Land
     
    Wichtige Informationen konnte ich dem Buch
»›Euthanasie‹ im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher