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CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Martyn Bedford
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fehlte, machte die Sache auch nicht besser, aber er mogelte sich einigermaßen durch. Außerdem hatte er den Eindruck, dass niemand von Philip Garamond irgendwelche geistigen Höhenflüge erwartete. Alex hingegen war ziemlich helle, aber das behielt er für sich. Englisch hatte er bei Miss Sprake. Die Schüler mussten eine Hausaufgabe abgeben, einen Aufsatz, den Alex zum Glück in einem von Flips Heftern entdeckt hatte. Damit war er aus dem Schneider. Dem ersten Absatz nach zu urteilen, war der Aufsatz nicht besonders gut geschrieben, aber das spielte keine Rolle. Einfach abgeben, Häkchen kriegen, wieder eine Stunde überstanden. Eine Stunde, die ihn dem Ende dieses verstörenden Tages näher brachte. Immerhin war die Schule eine Zufluchtsstätte, ein fester Halt an der unheimlichen, unüberwindlichen Steilwand dessen, was mit ihm passiert war. Je mehr er sich ablenkte
,
desto weniger musste er darüber nachdenken.
    In Kunst tauchte Flips Raucherkumpel wieder auf und setzte sich auch gleich neben Alex. Während der Lehrer das Whiteboard einschaltete, beugte sich der Junge zu Alex hinüber und raunte ihm etwas zu. Er rochnach abgestandenem Rauch und frischem Schweiß und fuhr sich mit den Fingern durch das verstrubbelte braune Haar.
    Wieso war Flip in der Mittagspause nicht beim Basketballtraining gewesen, hä? Wieso führte er sich heute überhaupt so bescheuert auf?
    »Donna ist übrigens auch stinksauer auf dich, Mann.«
    Jack hieß er. Das stand in grünen Filzstiftdruckbuchstaben auf dem Einband seines Kunsthefters. Er hatte die Hemdsärmel bis zum Bizeps hochgerollt und wirkte irgendwie hyperaktiv, kippelte die ganze Zeit mit dem Stuhl und stieß mit den Knien gegen die Tischunterseite. Er erinnerte Alex an einen Typen in Crokeham Hill, der sich immer den Daumen in die Augenhöhle drückte, bis die Mädchen kreischten, und der beknackte Fragen stellte, wie zum Beispiel: Würdest du dir lieber den Pimmel in der Tür einklemmen oder quer über die Autobahn rennen? Alex betrachtete Jack und seine dämliche Grimasse, die ihm noch dümmer als in
Dumm & Dümmer
vorkam, und ihm wurde mit einem Mal klar, dass Jack Flips und damit
sein
bester Freund sein könnte.
     
    Bei Unterrichtsschluss war Alex schlecht vor Hunger, aber Miss Sprake wollte ihn natürlich nicht ohne eine Erklärung für seinen »frühmorgendlichen Ausflug« zum Bahnhof gehen lassen. Alex zuckte die Achseln, entschuldigte sich, versprach, dass so etwas nicht mehr vorkommen würde und so weiter.
    »Ist mit dir alles in Ordnung, Philip?«
    Sie saß auf der Schreibtischkante und fingerte schon wieder an ihrer Brille herum. Ihre Kleider waren zerknittert und ein paar dunkelblonde Strähnen hatten sich aus der Frisur gelöst. Sie sah müde aus, wollte sich aber nichts anmerken lassen.
    »Mir geht’s gut, Miss. Ich bin bloß   … na ja.« Achselzucken.
    »Dieses Halbjahr war ziemlich anstrengend, das weiß ich ja, aber nach unserem Gespräch neulich   …« Hoffentlich sollte Alex jetzt nicht auf das eingehen, was sie irgendwann mit Flip besprochen hatten. »Einfach zu schwänzen ist jedenfalls keine Lösung. Oder?«
    »Nein, Miss.«
    »Und die Zehnte wird nicht weniger anstrengend, das kann ich dir versichern.«
    Alex hielt sich an einer Stuhllehne fest. Neben Frühstück und Mittagessen hätte Flip inzwischen wahrscheinlich schon zwei, drei Snickers verdrückt. Ziemlich anstrengend   … Wie hatte sich Philip wohl in der Neunten geschlagen? Alex hatte das letzte Halbjahr komplett verpasst, das wurde ihm jetzt erst richtig klar   – genau wie die Wahl der Fächer für das nächste Schuljahr. Ganz zu schweigen von Weihnachten und Ostern, den Ferien in Cornwall und der Endrunde der Bezirksmeisterschaften im Schach. Ihm wurde schwummerig und er schloss die Augen. Sofort kehrte der Albtraum der vergangenen Nacht zurück, blitzte in seinem Bewusstsein auf. Dann war das Bild,
schwupps,
so unvermittelt wieder verschwunden, wie es aufgetaucht war.
    »Möchtest du dich setzen, Philip?«
    Er schüttelte den Kopf. Das ganze Zimmer war in zitronengelbes Nachmittagslicht getaucht, es roch nach Kreidestaub   … beides entriss ihn den Klauen des bösen Traums. Auf dem Gesicht der Lehrerin waren Mitgefühl und Sorge zu lesen. Ihm fielen ihre Ohrringe auf: kleine silberne Gitarren. Vielleicht war Miss Sprake ja gar nicht so spießig, wie sie aussah.
    Stockend fragte er: »Bin ich   … bin ich in Ordnung, Miss? Innen drin, meine ich.«
    »Innen
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