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CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Martyn Bedford
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Atemzug wieder ausströmen.
    Das waren eindeutig Philips Bronchien. Philips Lungen.
    So musste sich ein Patient mit einer neuen Lunge fühlen oder mit einem neuen Herzen oder einer neuen Leber. Bei Alex handelte es sich allerdings um eine Ganzkörpertransplantation. Haut, Gewebe, Muskeln, Sehnen, Knochen, Blut, innere Organe   – das volle Programm. Alles, was ihm von sich selbst geblieben war (soweit er das bis jetzt beurteilen konnte), war sein Gehirn. Vielleicht nicht mal das Gehirn als solches, sondern lediglich die Gedanken. Der Verstand oder   … das Bewusstsein. Jedenfalls das, was
Alex
ausmachte.
    Er wollte nicht weiter darüber nachdenken. Es war einfach zu krass.
    Er wandte sich dem Planer zu: A5, Spiralbindung, durchsichtiger Plastikdeckel. Darunter das Wappen, das Motto (
Cognitio vincit omnia
) und der Name der Schule (Litchbury High School). Philip hieß mit Nachnamen ›Garamond‹ (was war das denn für ein Name?) und er ging in die 9b. Demnach waren sie im gleichen Schuljahr. Eine dürftige Übereinstimmung, aber immerhin waren sie gleich alt, hatten das gleiche Geschlecht und lebten im gleichen Land.
    Ein Zug war angekommen. Passagiere strömten aus dem Bahnhofsgebäude. Alex schaute auf, weil ihn die vorbeihuschenden Füße ablenkten.
    Dann sah er wieder auf die Uhr.
Mach schon, Mum! Ruf an. Bitte!
    Sie rief bestimmt noch an. Sie würde ihm glauben. Siewürde sofort herfahren und ihn holen. Nach Hause. Weg von hier. Sie würde irgendwie Hilfe organisieren und alles käme wieder in Ordnung. Er würde wieder er selbst sein.
    »Garamond!«
    Auf der anderen Straßenseite war ein Bäcker. Alex überlegte, ob er sich von Philips Geld ein Wurstbrötchen kaufen sollte, aber er wollte das wenige Geld, das er besaß, nicht einfach so ausgeben.
    »Garamond!«
    Alex beugte sich wieder über den Schulplaner   … Ein Schatten fiel auf die aufgeschlagene Seite.
    »Philip Garamond, ich rede mit dir!«
    Alex blickte auf. Der Mann hatte eine Glatze und trug eine karierte Jacke, die über dem Bauch spannte, dazu eine rot-weiß gestreifte Fliege. Er hatte eine Aktentasche unter den Arm geklemmt. Die Tasche war dermaßen mit Büchern und Zeitungen vollgestopft, dass sie nicht richtig zuging.
    »Es ist zehn vor neun, Junge«, sagte der Mann. »Wieso bist du nicht in der Schule?«

3
     
    »Dann wollen wir doch mal sehen, was Miss Sprake dazu sagt, hm?«
    Alex musste im Flur warten, während der Lehrer mit der Fliege und der prallen Aktentasche das Klassenzimmer betrat. Der Dicke hatte ihn vom Bahnhof bis zur Schule eskortiert und die ganze Zeit geschnauft, weil es ihn so anstrengte, gleichzeitig zu gehen und zu reden. Wäre Alex einfach weggerannt, hätte ihn der Typ bestimmt nicht eingeholt, aber es war nicht Alex’ Art, sich einem Lehrer offen zu widersetzen, selbst wenn ihn dieser Lehrer mit jemandem verwechselte. Wohin hätte er auch rennen sollen?
    Fliege tauchte mit einer Frau wieder auf, bei der es sich vermutlich um Philips Klassenlehrerin handelte. Die Lehrerin zog die Tür hinter sich zu und das Tuscheln und Raunen der Schüler drinnen im Klassenraum verstummte. Auf dem Schild an der Tür stand EN2   – Englisch. Ob Miss Sprake bei den Schülern einen Spitznamen hatte? Vielleicht ›Spraydose‹. Sie war noch ziemlich jung, sah in ihrer hellblauen Bluse und dem dunkelblauen, knielangen Cordrock aber eher altbacken aus. Sie nahm die Brille ab und hielt sie vorsichtig am Bügel. Das machte Alex’ Freund David auch immer so,weil er Angst hatte, die Gläser könnten schmutzig werden, obwohl er sie andauernd zwanghaft mit einem speziellen Tüchlein putzte. David saß jetzt wohl weit weg von hier neben einem leeren Stuhl in Geschichte.
    »Was soll das, Philip?«, fragte die Lehrerin. Zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine steile Falte. Statt streng klang sie eher besorgt. Vielleicht mochte sie Philip ja gern. Da wäre sie heute Morgen allerdings die Erste.
    »Keine Ahnung, Miss.«
    »Mr Johannsen sagt, du hast am Bahnhof gesessen.«
    »Aber ich wollte doch nicht wegfahren.« Alex zuckte die Achseln. »Ich hab nur rumgesessen und   … nachgedacht.«
    Mr Johannsen schnaubte: »Das ist ja mal ganz was Neues, Garamond.«
    So ging es eine Weile hin und her. Die beiden Lehrer spielten guter Bulle   – böser Bulle, ohne dass Alex ihnen eine zufriedenstellende Erklärung für sein Schulschwänzen liefern konnte. Die Wahrheit würde er ihnen ganz bestimmt nicht erzählen.
    Das war nämlich so: Ich bin
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