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CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Martyn Bedford
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Selbst wenn er die Wahrheit kennt, würde sie ihm sowieso niemand glauben.
 
Ich weiß nicht, was schwerer auszuhalten ist: sich an alles zu erinnern, an einen Teil der Geschichte oder an gar nichts. Egal. Ich glaube nicht, dass Flip je aus der Geschichte schlau wird.
Und ich? Werde ich daraus schlau?
Manchmal wache ich morgens auf, und es kommt mir vor, als wäre ich wieder dort, in Flips Zimmer, in Litchbury. Als ginge alles wieder von vorne los. Dann fällt mein Blick auf meine Vorhänge und alles ist gut. Das mache ich jetzt jeden Morgen als Allererstes   – gleich nach dem Aufwachen mache ich die Augen auf und schaue mir die Vorhänge an.
Ich stelle mir vor, dass Flip in seinem Zimmer das Gleiche tut. Wenn ich mir das vorstelle, bin ich fast überzeugt, dass er wieder in Ordnung kommt.
 
Gut, ich muss jetzt los, spazieren gehen. Uuaaah!! Ich schreib dir dann, wie es gelaufen ist.
Ich warte auf deine Mail mit sämtlichen Neuigkeiten. Und Fotos. Die von den heißen Quellen waren genial– da siehst du aus wie das Schlammungeheuer aus der Schwarzen Lagune
(Gibt’s bei euch in Neuseeland wirklich einen Ort namens Rotorua? Hört sich eher an wie ein Gartengerät oder so. Und die Hütte gehört wirklich dir?)
 
Pass auf dich auf,
Alex
 
PS: Cherry hat immer noch nicht geantwortet. Ich weiß, ich weiß, ich weiß   – ich hätte auf dich hören sollen. Du hast mir geraten, ich soll meine Hoffnungen nicht zu hoch schrauben, und jetzt mache ich genau das Gegenteil von dem, was du sagst. Aber sie fehlt mir so, Rob. Und das wollte ich ihr mitteilen.
     
     
    Der Spaziergang ist anstrengender und leichter zugleich, als Alex gedacht hat. Anstrengender in körperlicher Hinsicht   – Beine, Lungen, Ausdauer   –, aber geistig greift er auf Kraftreserven und eine Entschlossenheit zurück, die er in der »Zeit vor Flip
«
, wie er es inzwischen nennt, nicht gekannt hat.
    Es tut weh, es strengt an, er würde am liebsten stehen bleiben   … aber er geht weiter.
    Rechter Fuß   – linker Fuß   – rechter Fuß   – linker Fuß. Er zählt die Schritte in Zehnern, wie es ihm der Physiotherapeut beim Üben auf dem Lauftrainer geraten hat (in seinem Fall eher »Geh«trainer). Er kümmert sich nicht drum, dass ihn manchmal jemand komisch anguckt.Konzentrieren. Nicht ablenken lassen. Sogar Dad, der ihm im Auto hinterherfährt wie der Besenwagen bei einem Marathon, kann ihn nicht von seinem Ziel ablenken.
    Er schafft es tatsächlich bis zum Altenheim und setzt sich auf die Bank.
    Dad fährt ran und das Seitenfenster gleitet herunter. »Na, brauchst du mich, Alex?«, fragt er lächelnd.
    Alex schüttelt den Kopf. Lächelt zurück.
    Sein Vater schaut ihn immer noch an, will etwas sagen, lässt es aber bleiben. Es spielt keine Rolle. Das Lächeln, die leuchtenden Augen   … Alex weiß auch so Bescheid, was sein Dad über ihn denkt.
    Nachdem Dad weggefahren ist, bleibt Alex noch ein bisschen sitzen. Es hat angefangen zu regnen. Nur ein paar kleine Tropfen, die größer werden können oder auch nicht, aber das ist Alex egal.
     
    Als er wieder zu Hause ankommt, hat es sich eingeregnet. Seine Kleidung und seine Haare sind pitschnass. Alex freut sich auf ein schönes heißes Bad.
    Vielleicht steht seine Mutter ja wartend in der Tür, vielleicht klatscht sie sogar Beifall, wenn er kommt. Aber sie steht nicht da. Alex schließt auf und hört sie telefonieren. Er zieht die nasse Jacke aus und hängt sie über den Pfosten des Treppengeländers. Er steigt aus den Turnschuhen. Dann steht er total erledigt im Flur und ist auf geradezu kindische Weise stolz auf sich und seine Leistung.
    Obwohl er schon eine ganze Weile wieder zu Hause ist, erinnert er sich jedes Mal beim Betreten der Diele, wie er als Philip Garamond hier gestanden und sich Zutritt zu seinem Elternhaus verschafft hat. Der vertraute Geruch. Wie elend und verwirrt seine Mum damals ausgesehen hatte und wie schnell sie sich wieder erholt hat. Wenn auch nicht ganz und gar. Ein bisschen von der Mutter   – der Frau   –, die sie früher war, ist verloren gegangen, denkt er. Als wäre ein Teil von ihr gestorben, als sie glaubte, der Tod würde ihren Sohn doch noch mitnehmen.
    Unvermittelt geht es Alex durch den Kopf, dass seine Mutter und Mrs Garamond wahrscheinlich dicke Freundinnen sein könnten, falls sie einander je kennenlernten.
    Aber vielleicht ist das reines Wunschdenken.
    Als Alex eben hochgehen will, kommt seine Mutter in die Diele. »Ein Anruf für dich.«
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