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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition)
Autoren: Lily Brett
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die für die Warteliste zuständig ist. Ich will sichergehen, daß sie alles richtig notiert hat.«
    »Du bist wirklich unglaublich«, sagte Sonia. »Entweder liest du morbide Dinge wie die Abschriften der Nürnberger Prozesse oder wie viele Leute in Bergen-Belsen umgekommen sind, oder du kaufst dir ein Grab.«
    »Ein Grab zu kaufen ist nicht morbide«, sagte Ruth. »Es paßt nicht in die Kategorie der Dinge, die du an mir als morbid bezeichnest. Es ist nicht morbide. Man könnte es unter dem Gesichtspunkt betrachten, daß man seinen Landbesitz ausweitet. Oder seine Optionen.«
    »Optionen?« sagte Sonia. »Tote haben keine Optionen.«
    »Kannst du nicht mit mir frühstücken und die Frau von dem Shelter-Island-Friedhof später anrufen?« sagte Sonia.
    »Okay«, sagte Ruth.
    Ruth wußte nicht genau, warum sie sich mit ihrer eigenen Beerdigung beschäftigte. Ihre Gedanken zum eigenen Tod hatten sich bisher auf die Furcht beschränkt, nicht genug Zeit zum Abschiednehmen zu haben. Sie hatte ihre letzten Worte zu Garth und zu jedem der Kinder erwogen und aufgesetzt. Mehr als einmal. Sie besaß endlose Aufzeichnungen dessen, was sie sagen wollte. Was sie nicht vergessen wollte. Sie war zu der Ansicht gelangt, daß ihr Sterben ziemlich lange würde dauern müssen. Ihre letzten Worte waren so endgültig nicht. Dafür hatte sie zu viele Vermerke und Zusätze und Hinweise und Kodas notiert. Sie hatte Zachary und Garth gesagt, daß sie im Fall einer Hirnschädigung durch Krankheit oder Unfall nicht am Leben bleiben wollte.»Zieht einfach den Stecker«, hatte sie gesagt. »Selbst wenn ich lächle«, hatte sie hinzugefügt.
    »Wenn du lächelst, werde ich wissen, daß etwas nicht in Ordnung ist«, hatte Zachary geantwortet.
    Ein paar Wochen später hatte sie Zachary angerufen. »Dreht mir den Saft ab, selbst wenn ich fröhlich aussehe.«
    »Wenn du fröhlich aussiehst«, sagte er, »werden wir erst recht wissen, daß etwas nicht in Ordnung ist.«
    Schon seit längerem hatte sie Garth anrufen wollen, um ihn zu fragen, ob er auf Shelter Island begraben sein wollte. Aber vielleicht war die Frage doch zu morbide, um ein internationales Ferngespräch zu rechtfertigen. Die meisten Leute wollten wahrscheinlich nicht von ihrem Ehepartner angerufen und gefragt werden, wo sie beerdigt werden wollten. Vielleicht hatte Sonia recht. Vielleicht war sie morbide.
    Ruth rief Garth an. »Du fehlst mir«, jammerte sie in den Hörer. »Du fehlst mir! Ich komme mit all dem, was vor sich geht, nicht zurecht. Es ist zuviel für mich. Die Hälfte meiner Klienten erkundigt sich dauernd nach meinem Vater. Ich weiß, daß das an sich nichts Schlimmes ist. Sie erkundigen sich auch nach Zofia. Neulich hätte ich fast von ihren Möpsen statt von ihren Klopsen gesprochen. Meistens sage ich, daß sie eine hervorragende Köchin ist. Ich schlafe schlecht. Ich sehe übermüdet aus. Mein Dad sieht um zehn Jahre verjüngt aus. Er sieht aus wie ein schlechtgekleideter Clark Gable. Er trägt nach wie vor diese alten Parkas, die alle alten Juden tragen, und kurzärmelige Hemden. Und Zofia sieht richtig gut aus. Nein, sie sieht nicht gut aus. Sie sieht fabelhaft aus. Sie kocht in Unterwäsche. Unter ihrer Schürze trägt sie nur einen Büstenhalter. Bisher habe ich ihren grünen Büstenhalter zu sehen bekommen, ihren roten, ihren ziemlich verbotenen violetten und ihren schwarzen Büstenhalter. Sie sagt, daß es heiß ist in der Küche. Es dauert bestimmt nicht mehr lange, bis wir die passenden Unterhosen zu sehen bekommen.«Ruth hörte Garth lachen. »Das ist nicht komisch«, sagte sie. »Ich glaube, ich stehe unter Schock. Nicht wegen der Büstenhalter oder weil ich mich darauf gefaßt mache, sie demnächst in Unterhosen zu sehen. Ich glaube, ich stehe unter Schock als Folge all dessen, was passiert ist. Ich bin völlig schockiert, auch wenn es niemandem außer mir so zu gehen scheint. Mein Dad und Zofia und Walentyna benehmen sich, als wäre all das, was passiert ist, völlig normal. Und die Kinder finden alles wahnsinnig aufregend.«
    »Das ist es auch«, sagte Garth.
    »Vielleicht ist es zu aufregend«, sagte Ruth. »Zuviel Aufregung macht mich nervös. Zuviel von allem macht mich nervös.« Sie schwieg. »Obwohl, nein, zuviel Traurigkeit macht mich nicht nervös«, sagte sie. »Damit komme ich gut zurecht.«
    »Das ist das Beste, was deinem Vater widerfahren konnte«, sagte Garth. »Es ist sogar noch mehr als das, weil es völlig unvorhersehbar war.«
    »Ich
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