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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition)
Autoren: Lily Brett
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Walentyna hatte verhältnismäßig viel Essen auf ihrem Teller.
    »Nimm dir etwas zu essen, Ruthie«, sagte Edek. »Es schmeckt sehr gut.«
    »Ich weiß, daß es gut schmeckt«, sagte Ruth, »aber ich habe spät zu Mittag gegessen und bin noch nicht hungrig genug für das Abendessen.«
    »Wir müssen jetzt essen«, sagte Walentyna, »denn ab sechs Uhr haben wir viel zu tun.«
    Ruth sah sie an. Sie wirkten alle drei so ruhig. So unaufgeregt. Fast so, als wäre das, was sie erlebten, dieser Ansturm von Gästen, diese Hektik, genau das, womit zu rechnen war, wenn man ein Restaurant eröffnete. Auf einem Nebentisch lagen einige Artikel. Ruth sah sich die Zeitungsausschnitte an. Eine polnische New Yorker Zeitung behauptete kühn, aber in Kleinbuchstaben: »Polnische Klopse an der Spitze«. »Zofia ist sehr, sehr gut mit Klops«, verkündete die Downtown Press auf Seite drei. »Edek Rothwax, der siebenundachtzigjährige Partner von ›Klops braucht der Mensch‹, sagt, daß seine Chefköchin und Geschäftspartnerin Zofia Zebrzydowska sehr, sehr gut mit Klopsen ist«, begann der Artikel. Es gab ein Foto von Edek. Edek strahlte. Sein Ausspruch wurde in der Bildlegende unter dem Foto wiederholt. In Kitchen Magazine war ein Interview mit Zofia veröffentlicht. Den Artikel begleitete ein ganzseitiges Foto von Zofia bei der Arbeit in der Küche. Zofia, deren Haare noch stacheliger als gewöhnlich aussahen, trug ihren grünen Büstenhalter.
    »Zofia sieht aus nicht übel«, sagte Edek mit einem Blick auf das Foto.
    »Zofia sieht sehr gut aus«, sagte Ruth.
    »Danke, Ruthie, Liebling«, sagte Zofia.
    Wie in allen bisher erschienenen Artikeln wurden auch in diesen drei Zofias Kroketten besonders hervorgehoben. Die Kroketten waren die einzige Vorspeise auf der Speisekarte. Die Vorspeise bestand aus einem Teller mit drei oder vier Kroketten. Man konnte einen vegetarischen oder veganen Vorspeisenteller bestellen oder einen mit Fleisch oder einen gemischten. Zu den Kroketten gab es ein Töpfchen mit Zofias süß eingelegter Apfel-Tomaten-Zwiebelmischung mit Rosinen, Essing, Zucker, Ingwer und Senf und ein Töpfchen Meerrettich. Die Vorspeisen waren kostenlos. Sie waren Bestandteil des Essens. Verschiedene Kroketten als Vorspeise waren Edeks Idee gewesen. Seine ursprünglichen Bedenken, Beilagen umsonst anzubieten, waren der festen Überzeugung gewichen, daß Gratiskostproben gut für das Geschäft seien. »Ich habe mir gedacht, daß es würde zeigen den Leuten, daß alle Klops, was macht Zofia, sind sehr gut«, hatte er gesagt. »Nicht nur die Klops, was sie sowieso haben ausgesucht.« Edek hatte recht behalten. Cheryl bestätigte, daß viele Gäste gesagt hatten, sie hätten Variationen ausprobiert, die sie unter anderen Umständen nie und nimmer bestellt hätten. Zofias Idee mit Dip, Sauce und Suppe war ebenfalls ein Riesenerfolg. In zwei Food-Store-Läden in der Upper East Side waren ihre Saucen in das Sortiment aufgenommen worden. Es beunruhigte Ruth, wie seelenruhig Zofia, Edek und Walentyna alles hinnahmen, was ihnen widerfuhr. Keiner von ihnen sah erschöpft aus. Alle drei wirkten wohlauf, wie das blühende Leben geradezu. Walentyna wirkte weniger verschüchtert, weniger scheu. Obwohl ihr Kleidungsstil sich nicht verändert hatte. Ihre Kleider waren ihr nach wie vor zu groß, und viele hatten Puffärmel oder Gigotärmel und bauschige Röcke. Walentynas Knöchel wirkten so zerbrechlich unter diesen üppigen Stoffbahnen.
    In der Woche zuvor hatte Walentyna in der Madison-Avenue-Niederlassung von Food Store vorgeführt, wie man aus den Dips Saucen und Suppen machte. Edek hatte sie begleitet. Ruth war mitgekommen, um zuzusehen. Walentyna hatte ihre Aufgabe mit Selbstvertrauen und Begeisterung gemeistert. Am Ende der Vorführung war Edek an das Mikrofon getreten.
    »Ich möchte sagen, daß meine Tochter Ruthie, was leitet eine sehr erfolgreiche Firma, heute bei uns ist.« Er hatte auf Ruth gezeigt. »Ruthie ist ein sehr kluges Mädchen«, hatte er gesagt. »Sie schreibt Briefe für solche Leute, was brauchen solche Briefe.«
    Mehrere Anwesende hatten applaudiert.
    »Sind Sie noch zu haben, Mr. Rothwax?« hatte eine Frau gerufen.
    Edek hatte sich zu der Frau umgedreht. »Nein, gnädige Frau, ich bedaure, das bin ich nicht«, hatte Edek gesagt.
    Ruth hatte Edek angesehen. Er war ihrem Blick ausgewichen.
    Edek, Zofia und Walentyna galten inzwischen als gesellschaftlich begehrt. Gäste luden sie zu sich nach Hause ein. Gäste, die über
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