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Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter
Autoren: Jo Nesbo
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Headhunter
     
    Jo Nesbo
     
    Thriller
     
    Aus
dem Norwegischen von Günther Frauenlob
     
     
    Prolog
     
    Eine
Kollision zwischen zwei Fahrzeugen ist ganz einfache Physik. Alles ist dem
Zufall überlassen, doch sämtliche Zufälle lassen sich in der Gleichung »Kraft
mal Zeit = Masse mal Geschwindigkeitsänderung« in einen logischen Zusammenhang
bringen. Setzt man die Zufälle in diese Gleichung ein, bekommt man eine ebenso
einfache wie gnadenlose Geschichte. Eine Geschichte, die einem vielleicht
erklärt, was geschieht, wenn ein voll beladener Lastzug mit 25 Tonnen Gewicht und einer
Geschwindigkeit von 80 km/h
mit einem PKW mit 1800 kg
Gewicht und gleicher Geschwindigkeit zusammenstößt. Ausgehend von Zufällen wie
Treffpunkt, Beschaffenheit der Karosserie oder der Position der Körper zueinander
gibt es unzählige Varianten. Doch etwas haben all diese Varianten gemeinsam: Es
sind Tragödien. Und der PKW hat definitiv ein Problem.
    Es
ist merkwürdig still, ich höre den Wind in den Bäumen und das Rauschen des
Flusses. Mein Arm ist gelähmt, und ich hänge irgendwie kopfüber eingeklemmt
zwischen Fleisch und Stahl. Vom Türholm über mir tropfen Blut und Benzin. Auf
dem karierten Autodach unter mir liegen eine Nagelschere, ein abgerissener
Arm, zwei tote Menschen und ein offenes Beautycase. Die Welt kennt keine
Schönheit, nur Beauty. Die weiße Prinzessin existiert nicht mehr, ich bin ein Mörder,
und in diesem Auto atmet niemand mehr. Auch ich nicht, deshalb werde ich bald
sterben. Die Augen schließen und aufgeben. Aufgeben ist ein gutes Gefühl. Ich
bin das Warten leid. Und deshalb eilt es, diese Geschichte zu erzählen, diese
Variante von der Position zweier Körper zueinander.
     
    TEIL I
     
    Erstes Gespräch
     
    Kapitel
1
     
    Der
Bewerber
     
    Der Bewerber war nervös.
    Er
trug eine Rüstung von Herrenausstatter Gunnar 0ye: einen grauen
Ermenegildo-Zegna-Anzug, ein handgenähtes Hemd von Borelli und einen
burgunderroten Schlips mit Samenzellenmuster, vermutlich Cerruti 1881. Bei den Schuhen war ich
mir jedoch ganz sicher, das waren handgenähte Ferragamo. So ein Paar hatte ich
selbst einmal besessen.
    Die
Unterlagen vor mir besagten, dass der Bewerber ein Top-Examen der Norwegischen
Handelshochschule in Bergen vorzuweisen hatte, eine Amtszeit als
Parlamentsabgeordneter der Bürgerlichen Partei und eine vierjährige
Erfolgsstory als Leiter eines mittelgroßen norwegischen Industrieunternehmens.
    Trotzdem
war Jeremias Lander nervös. Auf seiner Oberlippe glänzte der Schweiß.
    Er
griff nach dem Wasser, das meine Sekretärin ihm hingestellt hatte.
    »Ich
möchte ...«, begann ich und lächelte. Nicht das offene, bedingungslose
Lächeln, mit dem man einen Fremden ins Haus bittet, in die Wärme. Nicht das unseriöse, sondern das höfliche, unverbindliche Lächeln, das laut
Fachliteratur die Kompetenz des Gesprächsleiters zum Ausdruck bringt und seine
Objektivität und analytischen Fähigkeiten betont.
    Das
fehlende gefühlsmäßige Engagement des Fragenden lässt den Bewerber auf dessen
Integrität vertrauen, wodurch er - auch wieder laut Fachliteratur - nüchterner
und objektiver Auskunft gibt. Man vermittelt ihm damit das Gefühl, dass man
jegliche Schauspielerei und Übertreibung durchschaut und dass jedes Taktieren
bestraft wird. Aber ich lächle nicht so, weil es die Fachliteratur so
empfiehlt. Dieser Berg mehr oder weniger qualifizierter Bullshit ist mir egal,
ich halte mich bloß an das neunstufige Befragungsmodell von Inbaud, Reid und
Buckley. Und ich lächle so, weil ich so bin: professionell,
analytisch und ohne gefühlsmäßiges Engagement. Ich bin Headhunter. Das ist
nicht sonderlich schwer. Aber ich bin der beste von allen.
    »Ich
möchte«, wiederholte ich, »... dass Sie mir als Nächstes von Ihrem Leben
außerhalb der Arbeit erzählen.«
    »Gibt
es so etwas?« Sein Lachen lag anderthalb Töne höher, als es sollte. Wenn man einen
derart trockenen Witz in einem Bewerbungsgespräch macht, sollte man es
vermeiden, selbst zu lachen, dabei sein Gegenüber anzustarren und auf eine
Reaktion zu hoffen.
    »Das
hoffe ich doch«, sagte ich, woraufhin sein Lachen in ein Räuspern überging.
»Ich glaube, die Leitung des Unternehmens legt Wert darauf, dass der neue
Geschäftsführer ein ausgeglichenes Leben führt. Sie suchen jemanden, der ein
paar Jahre bleibt, einen Langstreckenläufer, der sich seine Zeit einzuteilen
weiß. Nicht jemanden, der nach vier Jahren ausgebrannt ist.«
    Jeremias
Lander
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