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Chroniken der Weltensucher - Die Frau aus den Wolken: eShort zur Reihe "Chroniken der Weltensucher"

Chroniken der Weltensucher - Die Frau aus den Wolken: eShort zur Reihe "Chroniken der Weltensucher"

Titel: Chroniken der Weltensucher - Die Frau aus den Wolken: eShort zur Reihe "Chroniken der Weltensucher"
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Wind heulte um die Felszinnen. Staub wurde aufgewirbelt und blies Gustafsson ins Gesicht.
    »Wenn jemand da oben ist, melden Sie sich bitte.«
    Keine Antwort.
    »Tja, Jappo, sieht so aus, als wäre niemand zu Hause. Soll ich mal raufklettern? Leichter gesagt als getan, wenn du mich fragst. Die Gondel hängt mindestens sechs Meter hoch, über die Felsen komme ich da nicht ran. Vielleicht seitlich die Talseite und dann oben rüber? Nein, das bringt nichts, zumal ich dann zwar die Auftriebshülle erreichen würde, aber wieder nicht an die Gondel rankäme. Nein, nein, es muss irgendeinen anderen Weg geben. Warte mal. Vielleicht wenn es mir gelänge, diese Strickleiter zu packen. Das Fallreep sieht kräftig genug aus. Ich müsste nur rankommen …«
    Mit prüfendem Blick suchte er die Felswände ab. Er legte seine Ausrüstung unter einen Busch, suchte sich einen Stock vom Boden und steckte ihn sich in den Gürtel. Dann packte er eine der Ranken, zog sich ein Stück hoch und verkantete seinen Fuß in einer Felsspalte. Das Gewächs gab ein wenig nach, hielt aber. Er griff weiter nach oben, zog sein Bein nach und verkantete den zweiten Fuß in einer anderen Stelle. Auf diese Weise kam er Stück für Stück nach oben. Doch die Pflanze war nicht so tief verwurzelt, wie er gehofft hatte. Schon begannen sich die kleinen Verästelungen von dem Stein zu lösen. Die Ranke ächzte und knarrte. Gustafsson wendete seinen Kopf und sah die Strickleiter eine gute Armlänge von sich entfernt durch die Luft pendeln. Kurz entschlossen zog er den Stock aus seinem Gürtel und angelte nach dem Fallreep. Nach zwei Anläufen gelang es ihm, die grob geflochtene Leiter zu sich herüberzuziehen und sie mit einer Hand zu packen. Keinen Augenblick zu früh, denn in diesem Moment löste sich die Ranke von der Wand. Sven verlor den Halt und wäre abgestürzt, hätte er nicht bereits eine Hand an der Strickleiter gehabt. Schnell griff er auch mit der zweiten nach und schaukelte durch die Luft. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Er biss die Zähne zusammen und zog sich ein kleines Stück höher. Mit einer Verrenkung, die seinem Rücken ein böses Knacken entlockte, gelang es ihm, einen Fuß auf eine der Sprossen zu stellen. Fallreep nebst Gondel schaukelten wie verrückt, während er versuchte, auch seinen zweiten Fuß nach oben zu ziehen. Plötzlich spürte er einen heftigen Ruck. Das Schiff sackte ab. Gustafsson sah den Boden auf sich zukommen. Für eine furchtbare Sekunde lang glaubte er, unter dem Schiff begraben zu werden, doch dann beruhigte es sich wieder.
    Er schnaufte wie nach einem Hundertmeterlauf.
    Wozu war er zehn Jahre lang zur See gefahren? In den Wanten und Masten eines Segelschiffes kannte er sich aus und zum Glück hatte er keine Höhenangst. Für seine zweiundvierzig Jahre war er sogar einigermaßen durchtrainiert, aber aus dem Alter für akrobatische Kunststückchen war er definitiv raus. Jappo bellte und blickte mit wedelndem Schweif zu ihm herauf.
    »Keine Sorge, alter Knabe«, rief Gustafsson. »Ist noch mal gut gegangen. Pass du nur auf, dass dir kein Stein auf den Kopf fällt, in Ordnung? Ich werde mal sehen, was hier oben los ist.« Er wischte den Schweiß von seiner Stirn und stieg die Leiter hoch.
    Oben angekommen, sah er sich um.
    Ihm bot sich ein bemerkenswerter Anblick.
    Mitten auf dem Oberdeck war aus Holzbalken eine Art Altar aufgeschichtet worden. Darauf lag eine Frau. Helle Haut, dunkelrote Haare, gekleidet in ein weißes Gewand, bestickt mit indianischen Symbolen. Ihre Augen waren geschlossen. Sie sah aus, als schliefe sie.
    Die Frau war ausgesprochen hübsch, auch wenn ihre Wangen etwas eingefallen wirkten. Eine schmale Nase und ein wohlgeformter Mund, auf dem ein spöttisches Lächeln zu liegen schien. Die schmale Narbe, die sich quer bis hinauf zur rechten Schläfe zog, ließ sie irgendwie verwegen aussehen. Ihre Arme und Beine wiesen etliche Verletzungen auf, die notdürftig verbunden worden waren.
    »Hallo?« Gustafsson räusperte sich. »Können Sie mich hören?«
    Kein Mucks kam über ihre Lippen. Ob sie tot war?
    Er trat näher und tippte sie mit dem Finger an. In Erwartung, die Haut einer Leiche zu berühren, zuckte er erschrocken zurück. Von wegen tot, ihr Körper war warm. Nicht so warm wie bei einem gesunden, kräftigen Menschen, aber alles andere als kalt. Offensichtlich schlief sie nur. Oder sie war ohnmächtig.
    Er griff ihr an die Schulter und schüttelte sie. »Hallo, Miss, verstehen Sie
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