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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land
Autoren: West Morris L.
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    Er war seit dem Morgengrauen unterwegs. Er ritt nach Osten, weg von der Farm, der aufgehenden Sonne entgegen. Zu seiner Linken floß der Fluß träge und lautlos dahin, vorbei an den Sümpfen, an den Lilienteichen und durch die Tiefebene, die mit wildem Reis grün übersät war. Rechts neben ihm begann der Niauliwald, und vor ihm erhoben sich die sanften Hügel, die das Stone Country begrenzten.
    Er saß locker im Sattel, die Beine im Bügel weggestreckt, den Kopf wegen der blendenden Helle nach vorn gebeugt, und sein schwankender Körper wiegte sich im langsamen Gang des Ponys. Die Hitze knallte vom stahlblauen Himmel herunter, sie dörrte, ließ seine Lippen rissig werden, brannte in den Augen und trocknete seine braune gegerbte Haut. Doch unermüdlich und ruhig ritt er auf die roten Hügel zu, wo der Spinifex auf den nackten Steinen wuchs und die Steinpalmen ihre Wurzeln fest in die Spalten und Ritzen des porösen Sandsteins vergruben.
    Er hieß Lance Dillon, und zusammen mit einer ländlichen Genossenschaft besaß er einen Anteil an Minardoo, der neuesten und kleinsten Bahnstation am südlichen Zipfel von Arnhem Land. Er war 37 Jahre alt. Für einen Mann höchste Zeit, in das Viehgeschäft einzusteigen, um es mit den großen Syndikaten und den alteingesessenen Familien, den Königen im Nordwesten Australiens aufzunehmen.
    Zwanzig Meilen hinter ihm schwärmten die eingeborenen Viehhirten nach Norden, Süden und Westen aus und begannen mit dem Auftrieb, der alljährlich dem langen Treck zum Verladebahnhof vorausging. Sie versahen die neue Herde mit Brandzeichen, sonderten die Schlachtbullen und die minderwertigen zweitklassigen Tiere von unreiner Rasse aus, die vielleicht die Zucht verderben könnten, und trieben dann die Herde zur Farm zurück. Lance Dillon war der Boss, der Feldherr dieser groß angelegten Operation, aber heute überließ er sie den anderen und ritt davon, um sich mit einer ganz privaten Angelegenheit zu befassen.
    Den Neuankömmling erwarteten im Land der Rinder fast nur Mühsal und Enttäuschung. Den Syndikaten gehörte der größte und beste Teil des Landes. Sie hatten den bequemsten Zugang zu den Häfen und Bahnhöfen und verfügten über genügend Laderaum auf Zügen und Schiffen. Sie waren reich an praktischer Erfahrung und waren Herren über ausreichend menschliche Arbeitskraft, und vor allem verfügten sie über Kapital, das nötige Geld für die beste Nutzung des Weidelands, für den Bau von Bewässerungsanlagen, für den Transport, für Schlachthöfe und Gefrieranlagen. Sie konnten ihre Rinder schlachten, tiefkühlen und anschließend gleich zu den Laderäumen der bereitstehenden Schiffe fliegen lassen, während der kleine Mann seine Ochsen hundertfünfzig Meilen weit treiben und dabei zusehen mußte, wie sein Gewinn mit jedem Pfund geringer wurde, das sie auf dem Treck abnahmen.
    Es war ein Glücksspiel, und der Gewinn fiel demjenigen zu, der den längsten Atem hatte. Lance Dillon wußte das so gut wie jeder andere, und doch steckte er bis zum Hals in Schulden, um bei diesem Spiel überhaupt mitmachen zu können. Er hatte lange nachgedacht und war zu dem Schluß gekommen, daß es für den kleinen Mann ohne Vermögen nur eine einzige Chance gab: eine bessere Rasse zu züchten, die diesem Klima mit seinen Monsunwinden und der Dürrezeit im Sommer gewachsen war, die immun gegen Zecken und Parasiten war, die mehr Fleisch und weniger Sehnen hatte und so widerstandsfähig war, daß sie den strapaziösen Auftrieb zu den Verladebahnhöfen überstand, ohne an Gewicht zu verlieren.
    Aus diesem Grunde ritt er nun zu der Hügelkette am Rande von Stone Country. Hinter dem ersten Hügel lag ein Tal, eine geschlossene Mulde mit einer Quelle, die das ganze Jahr hindurch aus dem Boden hervorsprudelte. Hier gab es schattenspendende Bäume und saftiges Gras, hier konnte sich eine neue, edlere Rasse in aller Ruhe fortpflanzen, ohne daß minderwertige Bullen die Zucht beeinträchtigten, ungestört von Dingos und unbelästigt von dem Ungeziefer, das in den Sumpfgebieten des Flusses zu Hause war. Hinter der roten Ziegelmauer lag sein ganzes Vermögen: Bullenblut, dreitausend Pfund wert, und fünfzig erstklassige Kühe, zum Kalben bereit. Wenn seine Rechnung aufging, war dies der erste Schimmer von Erfolg. Nur zwei Jahre noch, und er könnte den gierigen Geldgebern ins Gesicht spucken, die ihm die Kehle zudrückten.
    Er zog die Zügel an, stieg vom Pferd und hakte den leinenen Wassersack vom Sattel los,
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