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Charlie + Leo

Charlie + Leo

Titel: Charlie + Leo
Autoren: Jochen Till
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unbedingt leichter! Was mache ich denn jetzt, verdammt?!
    Da ich das offenbar am besten kann und mir für alles andere die Nerven fehlen, nicke ich ausnahmsweise mal wieder.
    Sie beugt sich zu mir nach vorn. Ihre rechte Hand legt sich um meinen Hals. Sie zieht meinen Kopf zu sich heran. Was wird das denn jetzt? Sie will mich küssen? Sie will mich wirklich küssen? Einfach so? Ich glaube, ich sterbe gleich vor Glück.
    Ihr Gesicht kommt wie in Zeitlupe immer näher, ich kann ihren Atem spüren, die ganze Welt riecht plötzlich nach ihr, mir wird schwindelig, ich schließe die Augen.
    Dann spüre ich einen kurzen Schmatzer auf meiner linken Wange.
    »Vielen Dank für die Rettung, Charlie Braun«, höre ich sie sagen und fühle, wie sich ihr Gesicht und ihre Lippen und ihr Duft von mir entfernen.
    Wie jetzt? Das war alles? Ich meine, das war ja schon viel mehr, als ich jemals zu träumen gewagt hatte, aber wenn man mit einer Riesenportion Eis rechnet und plötzlich nur ein Löffelchen voll kriegt, hinterlässt das schon ein sehr unbefriedigendes Gefühl.
    Sie bewegt sich langsam rückwärts und hebt eine Hand zum Abschied.
    »Sorry, ich muss jetzt schnell wieder rein«, sagt sie. »Ich bin nämlich noch verabredet. Zufällig mit jemandem, der auch auf die Peanuts steht. Also, danke noch mal, wir sehen uns ja bestimmt am Montag in der Schule.«
    Sie dreht sich um und läuft langsam den Gang hinunter.
    Wie bitte, was? Das ist jetzt nicht ihr Ernst, oder? Was soll das denn? Sie weiß doch ganz genau, dass ich es bin! Oder etwa nicht? Aber so sehr kann niemand auf dem Schlauch stehen. Da müsste sie schon richtig, richtig dumm sein, und den Eindruck hatte ich eigentlich nie von ihr. Aber was soll das dann? Sie will es hören, Charlie Brown. Was? Aber wieso denn? Sie will, dass du es sagst, Charlie Brown. Wozu? Es ist doch alles klar. Sie weiß bereits, dass ich es bin, ganz sicher. Sag es, Charlie Brown. Ja, abe r … Sag es, verdammt noch mal, Charlie Brown! Aber ic h … Jetzt sofort, Charlie Brown! Sonst bist du der dümmste Trottel des Universums, kapiert? Das stimmt allerdings.
    »Ä h … warte!«, rufe ich Leo hinterher, die fast schon ihre Hand an der Türklinke hat. »Das bin ich !«
    Sie bleibt stehen und dreht sich langsam zu mir um.
    »Was bist du?«, fragt sie.
    Ich gehe mit kleinen Schritten auf sie zu.
    »Der Typ, mit dem du noch verabredet bist«, sage ich. »Das bin ich.«
    »Kann nicht sein«, erwidert sie mit ernster Miene. »Der Typ, mit dem ich verabredet bin, kann ganz toll zeichnen. Und du hast doch vorgestern noch zu mir gesagt, du kriegst nicht mal mit einem Lineal einen geraden Strich hin.«
    »Da s … das wa r … geschwindelt«, sage ich leise.
    »Du meinst gelogen«, erwidert sie und kommt langsam auf mich zu.
    »Nein, nur ein bisschen geschwindelt«, sage ich mit dem Versuch eines verschmitzten Lächelns.
    »So, so. Was ist denn der Unterschied zwischen Schwindeln und Lügen?«, fragt sie herausfordernd.
    »Ganz einfach«, antworte ich. »Lügen ist volle Absicht und beim Schwindeln traut man sich bloß nicht, die Wahrheit zu sagen, weil man Angst hat, sie würde vielleicht nicht gut ankommen.«
    »Aha, so ist das also«, sagt sie. »Und jetzt traust du dich plötzlich und schwindelst nicht mehr, oder was?«
    Sie schaut mir wieder in die Augen. Diesmal halte ich ihrem Blick stand.
    »Nein«, sage ich. »Jetzt muss ich nicht mehr schwindeln.«
    »Okay«, erwidert sie. »Dann sagst du mir ja auch bestimmt die Wahrheit, wenn ich dich jetzt frage, wie der Typ heißt, mit dem ich heute Abend verabredet bin?«
    »Er nennt sich der Farblose Ritter«, sage ich und nehme all meinen Mut zusammen, um den nächsten Satz auszusprechen. »Und er findet, dass du das wunderschönste und liebenswerteste Mädchen auf der Welt bist.«
    Okay, das war’s, ich habe es gesagt. Nicht nur geschrieben, gesagt. Höchstpersönlich. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Sie muss darauf reagieren. Sie wird darauf reagieren. Fragt sich nur wie?
    »Das ist sehr nett von ihm«, sagt sie mit völlig ausdrucksloser Miene. »Interessiert mich aber kein bisschen.«
    Oh. Also doch. Ich hatte die ganze Zeit über Recht. Alles umsonst. Der Comic, die Mails, meine Heldentaten, alles komplett für die Tonne, in die mein Herz gerade mit vollem Tempo abgestürzt ist. Ich wusste es. Das schönste, schlechtgelaunteste Mädchen der Welt würde sich nie im Leben in einen Charlie Brown verlieben. Was habe ich mir nur dabei gedacht, ich Idiot?
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