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Charlie + Leo

Charlie + Leo

Titel: Charlie + Leo
Autoren: Jochen Till
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Dingen wie Freizeit und Spaßhaben stehlen.
    Man könnte fast meinen, er hätte mich mit voller Absicht Charlie genannt, quasi als Omen dafür, dass ich auch ja ein ähnlicher Loser wie Charlie Brown werde und somit immer genug Zeit für den Haushalt hab e – ein wahrhaft teuflischer Plan, noch vor meiner Geburt ausgeheckt. Aber so war es nicht. Jetzt kommt nämlich das Absurdeste überhaupt: Mein Vater hat mich nicht etw a – was selbstverständlich jeder vermute t – Charlie genannt, weil er Charlie Brown so toll findet. Er kannte die Peanuts bis vor ein paar Jahren nicht mal! Comics interessieren ihn nämlich überhaupt nicht. Das Einzige, was ihn interessiert, ist Musik, denn er ist Musiker. Ich weiß, das hört sich jetzt erst mal ziemlich cool an, wenn man einen Vater hat, der Musiker ist. Nur leider spielt meiner nicht in irgendeiner coolen, berühmten Rockband Gitarre oder Bass oder Schlagzeu g – mein Vater spielt Saxofon. Und welche Musik verbindet man sofort mit einem Saxofon? Haargenau, Jazz. Mein Vater ist ein Jazzsaxofonist. Er lebt und spielt und atmet und lacht und leidet Jazz, und zwar den ganzen Tag lang. Wenn Comics meine Welt sind, dann ist Jazz für meinen Vater das Universum. Und Charlie Parker ist Gott.
    Wie, den kennt ihr nicht? Dann hört euer Vater mit Sicherheit keinen Jazz, Glück gehabt. Charlie Parker war ein Jazzsaxofonist, der Jazzsaxofonist überhaupt. Und nebenbei hat er sich Unmengen an Heroin reingefahren. Ich wurde also nicht nach einem Comic-Loser, sondern nach einem durchgeknallten Jazz-Junkie benannt. Na, herzlichen Glückwunsch. Ich kann nur hoffen, dass sich dieses Omen nicht erfüllt.
    Es heißt, Charlie Parker hätte bereits im zarten Alter von fünfzehn Jahren mit dem Heroin angefange n – und ich werde bald fünfzehn. Wer weiß, vielleicht schenkt mir mein Vater ja ein kleines Spritzbesteck und mein erstes Gramm Heroin zum Geburtstag, damit ich seinem Idol nacheifern kann. Das ist natürlich Quatsch, das würde er nie machen, so abgedreht ist er auch wieder nicht.
    Ich denke, er hat mich nach Charlie Parker benannt, weil er hoffte, dass ich dadurch vielleicht etwas von seinem Talent und der Leidenschaft fürs Saxofonspielen abbekomme. Sorry, Paps, daraus wird leider nichts. Meine Leidenschaft ist eine andere, im Gegensatz zu deiner eine sehr leise und unaufdringliche. Und sie hat viel mehr mit Charlie Brown als mit Charlie Parker zu tun.
    Ich zeichne. Immer und überall und alles und jeden. Das fing wohl schon an, als ich noch ganz klein war, zumindest hat Tante Heidi das gesagt. Kein Blatt Papier, keine weiße Tischdecke, keine Wand sei vor mir und meinen Buntstiften sicher gewesen. Ich hätte einfach alles vollgekritzelt und man hätte meistens schon erkennen können, was es sein sollte.
    Tante Heidi hat sogar alles aufgehoben, was ich jemals gezeichnet hab e – außer den Wänden und Tischdecken natürlich. Und sie hat mich immer ermutigt, fest daran zu glauben, dass ich später mal ein berühmter Comiczeichner werden kann. Und daran glaube ich mittlerweile nicht nur, ich bin sogar fest davon überzeugt. Ich werde Comiczeichner! Hundertpro! Da könnt ihr euch auf den Kopf stellen und Charlie Parker rückwärtsspielen, ich schaffe das! Irgendwann. Ganz sicher. In ein paar Jahren. Falls ich meine Schulzeit überleb e – was sehr unwahrscheinlich ist.
    Für einen hässlichen Loser wie mich ist jeder überlebte Tag Schule ein Wunder. Das liegt an den vielen dummen Leuten, die sich dort rumtreiben. Eigentlich paradox, oder? Dass es an einem Ort, an dem die Leute eigentlich schlauer gemacht werden sollen, so viele Matschbirnen gibt. Und damit meine ich nicht nur meine liebenswerten Mitschüler, die mich ständig aufs Übelste mobben, diese geistig zurückgebliebenen Vollidioten. Oder die ganzen Mädchen, die glauben, sie wären die Allerschönsten, nur weil ihnen plötzlich Brüste wachsen und die ganzen Vollidioten sie sabbernd anstarre n – wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, mich zu mobben.
    Aber dass die alle dumm wie eine Dose Erbsen sind, ist ja noch zu verzeihen, die wissen es einfach nicht besser. Wer es allerdings besser wissen sollte, sind die Lehrer. Ich meine, das sind schließlich Erwachsene. Erwachsene mit einer abgeschlossenen Ausbildung. Leute, die uns zu besseren Menschen erziehen sollen. Aber von denen werde ich auch gemobbt, und zwar ganz übel! Zum Beispiel von meiner Kunstlehrerin, der Hensel-Tegtmeier. Die hat mir letztes Jahr doch
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