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Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht
Autoren: Ally Condie
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und Nichts wieder in Fleisch und Blut.

Kapitel 50 CASSIA

    »Geh nicht gelassen!«, gebe ich ihm ein letztes Mal mit auf den Weg.
    Und da lächelt Ky. Er lächelt, wie ich es noch nie gesehen habe. Ein herausforderndes, kühnes Lächeln, das viele Menschen dazu bewegen könnte, ihm in eine Schlacht oder in die Wogen einer Flut zu folgen. Und er sagt: »Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
    Ich berühre ihn, streiche über seine Augenlider, finde seine Lippen, küsse ihn. Ich küsse seine Wangenknochen. Das Salz seiner Tränen schmeckt wie das Meer, und ich sehe die Küste nicht.

    Er ist fort, zwischen den Bäumen verschwunden, und ich treibe auf dem Fluss. Wir haben keine Zeit mehr.
    »Tu, was ich dir sage«, befiehlt Indie, schiebt mir ein Paddel in die Hände und schreit über den Lärm des rauschenden Flusses hinweg: »Wenn ich sage ›links‹, paddelst du links, wenn ich sage ›rechts‹, dann rechts. Wenn ich sage ›vorbeugen‹, tu es!« Der Strahl ihrer Stirnlampe blendet mich, und ich bin erleichtert, als sie sich nach vorne dreht. Durch den Abschied und das grelle Licht laufen mir die Tränen über die Wangen.
    »Jetzt!«, ruft Indie, und wir stoßen das Boot ab. Für einen Moment geschieht nichts, dann erfasst uns die Strömung und reißt uns mit.
    »Rechts!«, ruft Indie.
    Wirbelnde Schneesterne schmelzen auf unseren Gesichtern, weiße Flocken tanzen in den Kegeln unserer Lampen.
    »Sollten wir kentern, bleib beim Boot!«, schreit mir Indie über die Schulter hinweg zu.
    Die Sicht ist so schlecht, dass sie sich mit mir immer nur durch kurze Zurufe verständigen kann und sehr schnell reagieren muss. Sie sortiert auf eine Art und Weise, wie ich es niemals könnte, während ihr Wasser ins Gesicht spritzt, der Fluss silbrig glänzt, schwarze Äste vom Ufer aus nach uns greifen und abgebrochene Bäume in der Mitte der Strömung auf uns lauern.
    Ich mache ihr alles nach, kopiere ihre Bewegungen, passe mich ihren Ruderschlägen an. Ich frage mich, wie die Gesellschaft es geschafft hat, sie an jenem Tag auf dem Meer zu erwischen. Sie ist eine Steuerfrau auf diesem Fluss, in dieser Nacht.

    Stunden oder Minuten – die Zeit spielt keine Rolle mehr, es gibt nur noch aufgewühltes Wasser, Rufe von Indie und spritzende Paddel, wenn wir die Seiten wechseln.
    Nur einmal blicke ich auf, weil ich eine Veränderung über mir bemerke: Die Nacht geht, der frühe Morgen naht. Zwar ist es noch immer stockdunkel, aber am Horizont bleicht das Schwarz allmählich aus. Und dann verpasse ich den Moment, in dem Indie mir zuruft, ich solle rechts paddeln, und schon sind wir gekentert und in den Fluss gefallen.
    Kaltes, dunkles Wasser, vergiftet von der Gesellschaft, rauscht über mich hinweg. Ich sehe nichts und fühle alles, eiskaltes Wasser, auf mich einschlagendes Treibholz. Das ist der Moment meines Todes. Doch plötzlich trifft mich etwas anderes am Arm.
    Bleib beim Boot!
    Ich taste mich am Rand entlang, finde einen der Griffe, halte mich fest und ziehe mich an die Wasseroberfläche. Das Wasser schmeckt bitter. Ich spucke es aus und klammere mich am Plastik fest. Ich befinde mich unter dem Boot, gefangen und zugleich gerettet in einer Luftblase. Irgendetwas zieht an meinem Bein. Meine Stirnlampe ist weg.
    Es ist wie in der Kaverne. Ich bin eingeschlossen, aber am Leben.
    »Du schaffst es!«, hat Ky dort unter der Erde gesagt, aber er ist nicht hier.
    Plötzlich denke ich an den Tag zurück, an dem er mir zum ersten Mal begegnet ist, damals an dem klaren blauen Schwimmbecken, als Xander und er beide untergingen, aber unversehrt wieder auftauchten.
    Wo ist Indie?
    Das Boot schießt seitlich weg, und das Wasser wird ruhig.
    Ein Lichtstrahl scheint zu mir herein. Indie drückt das Boot hoch. Sie hat sich außen festgehalten und irgendwie ihre Stirnlampe gerettet. »Wir sind an einer ruhigen Stelle!«, ruft sie grimmig. »Aber nicht lange. Komm mit mir hier raus und drücke mit aller Kraft!«
    Ich tauche unter dem Boot hervor. Das Wasser ist schwarz und glasig. Der Fluss hat sich verlangsamt und verbreitert, weil er vermutlich weiter abwärts von irgendetwas gestaut wird. »Hast du dein Paddel noch?«, fragt Indie, und zu meiner Überraschung habe ich es festgehalten. »Auf drei«, ruft Indie, zählt, und dann drehen wir das Boot um und halten uns an der Außenseite fest. Schnell zieht sich Indie am Rand hoch und rutscht hinein, greift nach meinem Paddel und zieht mich hinterher.
    »Du hast dich festgehalten«,
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