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Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht
Autoren: Ally Condie
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Gesicht zu blicken.
    Vick schaut mich überrascht an.
    »Jetzt«, sage ich, und gemeinsam lassen wir los.

Kapitel 2 CASSIA

    Der Schmutz ist Teil von mir. Das heiße Wasser im Eckwaschbecken läuft über meine Hände und rötet sie so, dass sie mich an Ky erinnern. Meine Hände ähneln seinen inzwischen ein wenig.
    Allerdings erinnert mich fast alles an Ky.
    Mit einem Stück Seife in der Farbe dieses Monats, November, schrubbe ich meine Finger ein letztes Mal. In gewisser Weise mag ich den Schmutz. Er setzt sich in jede Hautfalte und verwandelt meine Handflächen in Landkarten. Einmal, als ich sehr müde war, sah ich hinunter auf die Kartographie meiner Haut und stellte mir vor, sie könne mir verraten, wie ich zu Ky gelange.
    Ky ist fort.
    Meine ganze jetzige Situation – abgelegene Provinz, Arbeitslager, schmutzige Hände, körperliche Erschöpfung, seelische Qual – hängt damit zusammen, dass Ky fort ist und ich ihn suchen will. Wie seltsam, dass sich Abwesenheit wie Anwesenheit anfühlen kann. Er fehlt mir so sehr, dass ich dieses Gefühl vermissen würde, wenn es nicht mehr da wäre. Ich würde mich umdrehen und voller Überraschung feststellen, dass ich wirklich ganz allein bin, wohingegen ich vorher wenigstens etwas hatte – wenn auch nicht
ihn
.
    Ich wende mich von dem Waschbecken ab und sehe mich in unserer Unterkunft um. Die schmalen Fenster hoch oben in den Mauern sind dunkel, denn draußen ist die Nacht hereingebrochen. Es ist die letzte Nacht, bevor wir verlegt werden, und die nächste Arbeitsstelle wird meine letzte sein. Morgen, so wurde mir mitgeteilt, werde ich nach Central gebracht, der größten Stadt der Gesellschaft, weil mein endgültiger Arbeitsplatz in einem der dortigen Sortierzentren liegen wird. Eine richtige Arbeitsstelle, nicht länger dieses Wühlen in der Erde, diese harte, zehrende Plackerei. Mein dreimonatiger Arbeitseinsatz hat mich in mehrere Lager geführt, aber bisher lagen alle in der Provinz Tana. Ich bin Ky bisher keinen Schritt näher gekommen.
    Wenn ich flüchten und mich auf die Suche nach ihm machen will, muss es bald geschehen.
    Indie, eines der anderen Mädchen in meiner Unterkunft, drängt sich auf dem Weg zum Waschbecken an mir vorbei. »Hast du wenigstens noch ein bisschen heißes Wasser für uns übrig gelassen?«, schimpft sie.
    »Ja. Natürlich«, flüstere ich. Sie murmelt etwas vor sich hin, dreht das Wasser auf und greift nach der Seife. Mehrere Mädchen stehen hinter ihr Schlange, andere sitzen erwartungsvoll auf ihren Etagenbetten, die in langen Reihen an den Wänden stehen.
    Es ist der siebte Tag, der, an dem die Nachrichten eintreffen.
    Vorsichtig löse ich den kleinen Beutel von meinem Gürtel. Jede von uns hat so einen kleinen Beutel, und wir müssen ihn ständig bei uns tragen. Der Beutel ist mit Nachrichten gefüllt. Wie die meisten anderen Mädchen auch hebe ich die Seiten so lange auf, bis sie unleserlich geworden sind. Sie ähneln den zarten Blütenblättern der Neorosen, die Xander mir geschenkt hat, als ich wegzog, und die ich ebenfalls aufbewahrt habe.
    Während des Wartens lese ich die alten Nachrichten. Die anderen Mädchen ebenfalls.
    Schon nach kurzer Zeit vergilbt das Papier an den Rändern und zerfällt – wir dürfen die Worte lesen, sollen uns aber nicht an sie klammern. Meine letzte Nachricht ist von Bram: Er arbeite hart auf den Feldern und sei ein vorbildlicher, stets pünktlicher Schüler, was mich zum Lachen bringt. Ich weiß, dass er zumindest beim letzten Punkt die Wahrheit ziemlich strapaziert. Eine andere Passage treibt mir die Tränen in die Augen – er sagt, er habe sich den Inhalt von Großvaters Mikrochip angesehen, den aus dem goldenen Etui seines letzten Banketts.
    Der Historiker liest eine Zusammenfassung von Großvaters Leben und ganz am Ende eine Liste von Großvaters liebsten Erinnerungen vor
, schreibt Bram.
Jede davon galt einem von uns. Seine Lieblingserinnerung an mich war das erste Wort, das ich gesprochen habe
 –
›mehr‹. Seine Lieblingserinnerung an dich war eine, die er ›den Tag im roten Garten‹ nannte
.
    Am Tag des Banketts habe ich nicht besonders auf den Inhalt von Großvaters Mikrochip geachtet. Ich war zu sehr auf seine letzten Momente in der Gegenwart konzentriert, um mich für seine Vergangenheit zu interessieren. Später habe ich mir immer wieder vorgenommen, mir seinen Mikrochip einmal in Ruhe anzusehen, doch ich bin nie dazu gekommen. Jetzt wünschte ich, ich hätte es getan. Mehr
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