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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein
Autoren: Linda Barnes
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aufgeschlossen. Ich weiß es nicht. Es spielte auch keine Rolle
mehr. Seine Jackentasche war abgerissen. Seine Stirn war schmutz- oder
blutverschmiert oder auch beides. Er zielte mit einem Revolver auf meinen Kopf.
    Ich hob die Arme, bis ich mit
meinem Revolver auf den seinen zielte.
    Er sagte: «Du bist mein
Passierschein hier raus.»
    Ich weiß nicht, wie lange wir einander
so anstarrten. Meine Hände waren feucht. Mein Finger fühlte sich an, als sei er
am Abzug festgeklebt. Fünf Kilo Kraft, um abzudrücken. Das ganze Universum
konzentrierte sich in diesen fünf Kilo. Ich musterte Flahertys Gesicht. Ich
glaube, er wollte nicht feuern. Ich glaube eher, er wollte von mir getötet
werden.
    Ich hätte es auch beinahe
getan. Ich hätte beinahe abgedrückt. Ich hätte abgedrückt. Wirklich. Sam hin,
Sam her. Dies hatte nichts mit Sam zu tun. Hier hieß es, er oder ich, und das
war etwas, was ich bei der Polizei gelernt hatte. Wenn es heißt, er oder ich —
dann auf jeden Fall ich.
    «Runter, Carlotta!» Ich kenne
Mooneys Stimme wie meine eigene, und ich tauchte zu Boden wie in einem
olympischen Schwimmbad. Ein Ellbogen schlug hart auf. Ein Feuerstrahl blendete
mich, und gleich darauf betäubte ein Revolverknall meine Ohren. Es waren zwei
Schüsse schnell hintereinander, dann Stille. Ich überlegte, ob ich wohl
getroffen war.
    Ich hob den Kopf. Über
Flahertys Körper, etwa zehn Meter entfernt, sah ich den Umriß seines Mörders,
zuerst hohe Stiefel, dann muskulöse Schenkel in einem Tarnanzug. Da ich flach
auf dem Boden lag, kam mir der Mann ungeheuer groß vor. Meine Augen wanderten
nach oben — Gürtel, Hemd — , und dann preßte ich die Lippen zusammen, um einen
Schrei zu unterdrücken. Flahertys Mörder hatte kein Gesicht, nur eine schwarze
Kapuze mit Sichtschlitzen für die Augen.
    Ich habe nie herausbekommen,
wer von den irischen Käuzen die echte IRA benachrichtigt hat. Und ich will auch
nicht behaupten, daß die Polizei mitgespielt hat.
    Aber irgendwie schaffte es
Flahertys Henker in der allgemeinen Verwirrung trotz all der Polizisten, in der
Menge unterzutauchen und zu verschwinden.
     
     
     

34
     
    Die Stunden verrannen. Ich
erzählte immer die gleiche Version der Geschichte. Ich erzählte sie einer
endlosen Parade von Polizeibeamten immer höheren Dienstgrades, dann zwei
stellvertretenden Staatsanwälten, dann einem richtigen Staatsanwalt, der wie
ein Zwölfjähriger aussah, und zuletzt einem gemütlich im Dienst ergrauten verantwortlichen
Polizeipräsidenten. Ich trank miserablen Kaffee. Ich aß zwei mysteriöse
Sandwiches, die mit Thunfisch oder Geflügelsalat belegt gewesen sein könnten,
aber in der Hauptsache aus Mayonnaise bestanden. Nach meinem Schwätzchen mit
dem Polizeichef meinte ich, endlich erlöst zu sein, aber da erschienen zwei
weitere Polizeibeamte, und das ganze Theater ging wieder von vorne los. Und
noch zwei. Ich hatte kein Gefühl mehr in meinem Mund. Alles, was ich sagte,
klang irgendwie falsch. Ich saß da und starrte rissige Wände mit abblätternder
Farbe an, auf die ich mich mit gesammelter Aufmerksamkeit konzentrierte, da die
Häßlichkeit des Vernehmungszimmers meine Erinnerungen weit überbot.
    Wieder und wieder und wieder.
Kern meiner Geschichte war, daß ich bei der Beobachtung und Beschattung des
Zipfelbarts einen Drogenring aufgedeckt hatte. Nein, ich hatte keinen Klienten.
Der Aktionskreis des Drogendealers hatte eine Bedrohung für meine kleine
Schwester dargestellt. Fragen Sie bei Officer Jay Schultz von der Cambridger
Polizei nach, wenn Sie mir nicht glauben. Da ich einmal bei der Bostoner
Polizei war, hatte ich meine Entdeckungen über den zu erwartenden Dope-Handel
meinem früheren Vorgesetzten unterbreitet. Er wollte die Sache auffliegen
lassen, nur war das schiefgegangen wegen des völlig überraschenden Eingreifens
des FBI. Was hatten diese Typen überhaupt dabei zu suchen? Wer war dieser
Thomas C. Carlyle?
    «Andrews» hatte bestimmt keine
Lust, über die Wanze in meinem Telefon zu reden.
    Und wer hatte eigentlich diesen
Rauschgiftdealer umgebracht — diesen Flaherty oder wie er hieß? Ich wußte es
nicht. Wirklich nicht. Manchmal bin ich überzeugender, wenn ich lüge, als wenn
ich die Wahrheit sage.
    Kein Sterbenswort über das
Taxiunternehmen.
    Die Story war so simpel, daß
man meinen sollte, sie hätten sie gleich beim erstenmal kapiert, aber nein, ich
mußte den ganzen Sermon dauernd aufs neue servieren, jedem, der eine halbe
Stunde Zeit hatte. Ein
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