Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein
Autoren: Linda Barnes
Vom Netzwerk:
faulen
Dealer-Tage mehr auf Paolinas Veranda. Ich beobachtete meine kleine Schwester,
wie sie auf ihren Zimbeleinsatz wartete, mit glühenden Wangen und brennenden
Augen, den Takt so deutlich im Ohr, als wenn er in ihr pulsierte — und wußte,
daß immer wieder ein Dealer dasein würde.
    Ich murmelte Mooney eine Entschuldigung
zu und verließ die Aula.
    Ich konnte die Damentoilette
nicht finden. Nur Türen mit der Aufschrift «Jungen» oder «Mädchen», und so
betrat ich schließlich die am nächsten bei der Aula gelegene Mädchentoilette.
Das Örtchen war unglaublich eng. Es bestand aus vier schmalen Boxen mit
Holztüren, die auf 1,20 m Höhe abgesägt und voller Sprüche waren. Der Spiegel
warf mein Bild von der Brust abwärts zurück, und das Waschbecken war so
niedrig, daß ich mich hinknien mußte, um mir das Gesicht waschen zu können. Ich
kam mir vor wie Alice im Wunderland, nachdem sie den Pilz verzehrt hatte, und
mußte noch mehr weinen.
    Wenn mir heiß ist, schwitze
ich, und wenn mir traurig zumute ist, weine ich. Beides ist gesellschaftlich
untragbar, aber man kann mir ebensowenig befehlen, mit dem Schwitzen aufzuhören
wie mit dem Weinen. Wenn ich schwitzen sage, meine ich auch «Schwitzen», nicht
«Duften» oder «Transpirieren» oder eine sonstwie geschönte weibliche Version
des Schwitzens. Und ich schluchze auch nicht in ein zierliches Taschentüchlein.
Ich jaule. Ich heule. Ich würge und schlucke und schneuze mir die Nase.
    Ich kniete auf dem
Zementfußboden und drehte das kalte Wasser voll auf. Ein entmutigend dünnes
Rinsal floß in das vergilbte Becken.
    Ich hörte jemanden an die Tür klopfen.
    «Carlotta?»
    «Hau ab.»
    «Alles in Ordnung?» fragte
Mooney.
    «Ja.»
    Er drückte die Tür auf. Der
Raum verkleinerte sich um die Hälfte. Er stieß beinahe mit den Schultern an den
Türrahmen.
    «Alles in Ordnung?»
    «Mir geht’s gut, Mooney. Was
dagegen?»
    «Kann ich dir helfen?»
    «Geh bitte.»
    Er blieb einfach stehen.
    Als ich noch bei der Polizei
war, habe ich nie geweint. Das war Ehrensache. Wenn die «Jungs» das als
Schwäche auffaßten, war ich eben nicht schwach. Ich würde es ihnen schon
zeigen. Und nach einiger Zeit ging es gar nicht mehr anders, die Tränen wallten
nur noch in meinem Innern auf und verdichteten sich dort zu einem dauernden
nagenden Schmerz.
    Als Privatdetektivin hatte ich
Frieden mit meinen Tränen geschlossen.
    «Hör mal, Mooney, mit mir ist
alles in Ordnung. Mir geht’s nur an die Nieren, wenn ich jemanden sterben sehe.
Das ist alles.»
    Er sagte nichts.
    «Mooney, du hast mich doch am
Busdepot gesehen. War ich gut?»
    «Ja.»
    «War ich eine gute Polizistin?»
    «Ja.»
    «Dann ist es doch meine Sache,
was ich hinterher mache, ob ich nun schreie, in Ohnmacht falle, Schaum vor dem
Mund habe oder mit Sachen werfe, nicht wahr?»
    Ich ließ Wasser in meine hohlen
Hände laufen und tauchte mein Gesicht hinein. Mooney wartete mir mit einem
Stapel rauher Papierhandtücher auf. Als ich meine Augen abtupfte, legte er mir
die Hände auf die Schultern.
    «Mooney», sagte ich, «ich weiß
das ja zu würdigen, aber ich brauche keinen Mann, um mich an ihn anzulehnen.
Ich breche nicht in Tränen aus und hoffe dabei, daß gerade einer daherkommt.»
    Er lief rot an und riß die
Hände von meinen Schultern, als wären sie glühend. «Herrgott noch mal,
Carlotta, hör endlich auf, mich wie irgendeinen gottverdammten Vertreter der
Männerwelt zu behandeln! Nur weil ich ein Cop bin, nicht wahr? Daß ich ein Cop
bin, heißt aber noch lange nicht, daß ich so ein faschistisches Macho-Schwein
bin. Ich sehe jede Woche ganze Säle voller weinender Frauen und tröste sie
trotzdem nicht. Dich will ich trösten. Dich, Carlotta. Ich will dich
nicht beleidigen, verdammt noch mal. Auch ich habe den Bastard sterben sehen,
verflucht noch mal, und es wäre mir ein Trost, wenn ich dich halten dürfte.»
    Er brach jäh ab. Seine Stimme
hallte von den Wänden wider. In der Ferne hörte ich eine Posaune falsch
spielen.
    «Du lieber Himmel, ich glaube,
ich fange immer an zu brüllen, wenn ich jemanden sterben sehe», sagte er ruhig.
«Tut mir leid.»
    «Ist schon okay», sagte ich im
Stehen.
    Es war kaum Platz genug für uns
beide. Die Wände drängten uns zusammen, und da standen wir nun in dem kleinen
Mädchenklo und umarmten uns wie Freunde — und vielleicht mehr als das. Er küßte
mein Haar, meine Stirn, meine Wange. Ich glaube, er wäre noch bis zu meinem
Mund vorgedrungen.
    Die Tür
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher