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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein
Autoren: Linda Barnes
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cremegefüllten Canolli aus.
    Die Leichenhalle war
ungewöhnlich, von der Straße zurückgesetzt, ein niedriges Backsteingebäude mit
drei Stufen zu einem Säulenportal hoch, von den Nachbarhäusern durch fußbreite
Gäßchen getrennt. Ein Leichenwagen stand vor dem Bordstein, dahinter drei
schwarze Limousinen. Sie verwandelten die zweispurige Straße in ein einbahniges
Schlachtfeld. Sechs Bostoner Polizisten verstärkten das Durcheinander noch.
    Ein stetiger Menschenstrom floß
den Eingang hinauf, die Frauen devot, die Männer in dunklen Anzügen, mit weißen
Hemden und dunklen Krawatten. Die meisten waren älter. Wenn sie eintraten,
schwang die Tür auf, und dann konnte ich eine dämmrige Eingangshalle sehen und
zwei Männer in schwarzen Anzügen, die dort drinnen eine Flügeltür flankierten.
    Autos hupten. Der Lieferwagen
einer Gas-Gesellschaft, auf der anderen Straßenseite geparkt, zwei Räder auf
dem Bürgersteig, mit blinkenden gelben Warnlampen, vervollständigte das
Verkehrschaos. Er hatte getönte Seitenfenster. Das FBI filmt gern
Cosa-Nostra-Beerdigungen. Ich wunderte mich, daß sie nicht einfach mitten im
Blickfeld eine Kamera aufgepflanzt hatten.
    Ich holte einmal tief Luft und
bewegte mich auf den Eingang zu. Ich war schon über eine Meile zu Fuß gegangen
von Park Street Station bis hier. Meine Schuhe drückten mich. Mein Rock fühlte
sich schwer an. Meine Strümpfe scheuerten. Ich hätte einen Hut aufsetzen
sollen. Mein Haar wirkt auf Beerdigungen fehl am Platz. Die meisten der alten
Damen hatten ihren Kopf mit schwarzen Spitzenschleiertüchern verhüllt.
    Die Luft in der Eingangshalle
war angenehm kühl. Ich spürte einen leisen Druck an meinem rechten Ellenbogen.
Dann wurde mein linker Ellenbogen sanft gepackt, und schon war ich geschickt
abgedrängt worden, mit einem Schlägertypen auf jeder Seite.
    Dideldidu sagte: «Nur
Familienangehörige, Miss.»
    Dideldida sagte: «Wir werden
Ihre Beileidswünsche weiterleiten.»
    Ich versuchte sie
abzuschütteln. Sie hielten fest. Ich sagte: «Ja. Was für einen Namen wollen Sie
denn angeben?»
    Der Druck auf meine Arme
verstärkte sich. Ich ließ mein Bukett fallen. Hoffentlich hob es einer der
beiden auf, aber das waren Profis. Sie ließen es auf den Fliesen liegen, eine
schlappe Iris zusammengeknickt.
    Die Innentüren waren zur Hälfte
aus Glas. Ich konnte hindurchsehen in einen schmalen Empfangssaal mit
dunkelroter Textiltapete, Eichentäfelung und einem Kristallüster. Ein
vergoldeter Spiegel über dem Kamin reflektierte Marmorstatuen und in Gruppen
zusammenstehende, miteinander plaudernde Trauergäste. Auf einem reichverzierten
Büfett stand eine Kristallvase mit Lilien. Ich meinte, Sams Hinterkopf zu
sehen. Er hatte sich die Haare schneiden lassen. Sein Nacken war bleich.
    «Sagen Sie Sam Gianelli —»
begann ich.
    «Nur Familienangehörige, Miss»,
sagte Dideldidu hart. «Sie wollen doch sicher keine Szene machen.»
    «Eine Riesenfamilie», murmelte
ich.
    Der hochgewachsene Mann wandte
den Kopf. Es war Sam, das Gesicht so starr wie die Marmorbüste auf dem
Kaminsims. Durch die Glastür sah er aus, als ob er sich in einer anderen Welt
befinde, an einem traurigen, ernsten Ort, wo niemand lächelte. Ein stattlicher
Herr klopfte ihm auf die Schulter und schüttelte ihm die Hand. Sam starrte mich
über den Kopf des korpulenten Mannes hinweg an. Er konnte mich nicht übersehen
haben. Seine Lippen öffneten sich leicht und preßten sich gleich darauf zu
einer dünnen Linie zusammen. Er schluckte. Er sah nicht weg. Er sah auch nicht
zu Boden. Er sah geradewegs durch mich hindurch.
    Ich schloß nur für eine Sekunde
die Augen. Als ich sie wieder öffnete, war er fort.
    Ich wandte mich an den Schläger
zu meiner Rechten. «Würden Sie bitte Mrs. Flaherty die Blumen geben?» bat ich.
Meine Stimme zitterte, aber ich glaube, er verstand mich.
    Ein dritter Mann bahnte sich
mit den Ellbogen einen Weg durch die Empfangshalle, schnappte sich den
Blumenstrauß und schob ihn mir in die Hand. Sie drehten mich um und warfen mich
auf eine etwas würdevollere Art hinaus als einen Penner.
    Da stand ich nun blinzelnd
unter dem Portal und legte eine Hand auf eine kühle Säule, mehr zu meiner
Beruhigung als haltsuchend. Ich nahm dumpfes Stimmengemurmel und hochgezogene
Augenbrauen wahr.
    Ich ließ die verfluchten Blumen
auf dem Leichenwagen liegen.
     
     
     

36
     
    Die Aufregung legte sich nach
einiger Zeit wieder, trotz der Titelschlagzeilen im Herald von der
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