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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein
Autoren: Linda Barnes
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Orchestermusik»,
beharrte er eigensinnig. «Ich würde Paolina gern mal wiedersehen.»
    Paolina hat Mooney dreimal
getroffen. Das erste Mal trug er Uniform und erschreckte sie so, daß sie ganz
still wurde. Das zweite Mal brachte er eine Stunde damit zu, auf der
Eingangstreppe der Polizeiwache Seifenblasen mit ihr zu fabrizieren. Beim
drittenmal waren sie schon dicke Freunde. Sein Erscheinen würde mein
Zuspätkommen mehr als wettmachen.
    «Na schön», willigte ich ein.
    Er parkte im Parkverbot und
ließ sein Schild «Polizeibeamter im Dienst» gut sichtbar an der
Windschutzscheibe liegen. Wir gingen hinein.
    Alle Grundschulen sind genau
gleich, genauso wie alle Krankenhäuser und Flughäfen. Reihenweise Spinde, lange
geflieste Gänge, der typische Geruch von Kreide und Tafeln. Bei mir weckt
dieser spezielle Duft stets die Erinnerung an schrille Rufe wie «Im Gang bitte
einreihig der Größe nach aufstellen». Was hieß, daß sich all die kleinen
Mädchen zuerst aufreihen mußten, dann die kleinen Jungen, und meine Wenigkeit
natürlich immer hintenan.
    Wir brauchten keinen Wegweiser
zur Aula. Der Lärm — das Wort Musik will mir kaum über die Lippen — führte uns
auf zwei Doppeltüren zur Linken zu. Wir schlichen hinein wie die beschämten
Spätankömmlinge, die wir ja waren, und tasteten im Dunkeln nach Sitzen. Ich
erblickte zwei Plätze am Gang weit hinten rechts und zog an Mooneys Hand, bis
er sie ebenfalls bemerkte.
    Die Bühne war so hoch, daß die
Leute in der vordersten Reihe einen guten Blick auf vierzig Paar kleine Füßchen
hatten. Das machen sie in den Schulen absichtlich, damit die Vortragenden mehr
Autorität haben. Für die Akustik bringt es nichts. Bei der Beleuchtung gab es
nur an und aus, und der Vordergrund der Bühne blieb im Halbdunkel, was mich
nicht weiter störte, da Paolina ziemlich weit hinten stand.
    Die Kunstledersitze waren
vielleicht für Zehnjährige geräumig genug. Ich hatte das Gefühl, als küßten
meine Knie mein Kinn, und Mooneys Kampf um eine halbwegs bequeme Position
erregte mein Mitgefühl.
    Normalerweise kann ich bei
Musik gut abschalten und das Geschwätz im Gehirn zur Ruhe bringen. Bei
Marschmusik, von einem Schulorchester vorgetragen, will’s nicht recht klappen.
    Ich habe ein musikalisches
Gehör. Im allgemeinen empfinde ich das als Segen. Ich bin nicht ganz sicher, ob
mein Gehör als absolut durchgeht. Ich trage das eingestrichene C in meinem Kopf
herum, und der Rest der Tonleiter hat sich nach diesem Ton zu richten. Heute
abend war meine Musikalität kein Segen. Einem der Flötisten hätten sie lieber
eine Tröte statt der Flöte geben sollen. Ein paar Violinen waren völlig
daneben. Sämtliche Blechbläser hätten es verdient, in einem möglichst
schalldichten Raum unten im Foyer eingeschlossen zu werden.
    Mooney schlug auf den Knien den
Takt zur Musik.
    Die Menschen haben ein
unterschiedliches Musikverständnis. Mich begeistert ein gezupfter Baß und
Stimmen, die sich harmonisch hinzugesellen. Paolina kann nicht besonders gut
singen. Paolina hat ein Gefühl für Rhythmus.
    Sie spielt Schlagzeug, und ich
finde sie toll, besonders diesmal. In weißer Bluse und dunklem Faltenrock,
genau wie die Blusen und Röcke aller anderen kleinen Mädchen im Orchester,
ragte sie heraus, als sei ein Scheinwerfer auf sie gerichtet. Sie hatte zwei
knallrote Plastikspangen im Haar, über jedem Ohr eine. Die meiste Zeit wartete
sie auf ihren Einsatz. Sie schien ganz mit der Musik mitzugehen, das Gesichtchen
angespannt vom aufregenden Zählen, der schier unerträglichen Spannung des
Moments, bevor die Zimbeln, die kleine Trommel oder der Triangel erklangen. Sie
hatte mir einmal erzählt, daß sie Musik als abgezählte Schläge hört, wie
Schritte. Darum war sie auch so entzückt über das Ballett. Sie kann ohne Zögern
zwischen Dreiviertel- oder Viervierteltakt und noch viel schwierigeren Rhythmen
unterscheiden.
    Ich überlegte, ob Jackie
Flaherty wohl in seinem Schulorchester ein Instrument gespielt hatte. Ich
merkte, wie mir eine erste Träne die Wange herunterrollte.
    Unter den 47 Personen, die in
der betreffenden Nacht wegen Rauschgiftbesitzes in Boston und Cambridge
festgenommen wurden, war auch mein Freund «Bud» Harold alias Zipfelbart. Bei
seinem Vorstrafenregister konnte eine weitere Verhaftung Walpole bedeuten, das
Staatsgefängnis, das sie heute anders nennen — Woodsy Glen oder Meadow Marsh
oder so ähnlich — , um es von der schönen Stadt Walpole abzuheben. Keine
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