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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein
Autoren: Linda Barnes
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mir auf
Anhieb die Wahrheit gesagt, wäre womöglich alles ganz anders gekommen. Oder,
wie meine Mam auf Jiddisch oder Englisch zu sagen pflegte, je nach Situation:
«Wenn deine Oma Räder gehabt hätte, wäre sie ein Omnibus gewesen.»
    Ich habe meine Babbe, meine Großmutter, die Quelle aller jiddischen Sprichworte, die meine Mutter
wußte, nicht mehr gekannt, aber wenn ich es mir recht überlege, hätte ich
nichts dagegen, sie mir als Ebenbild von Margaret Devens vorzustellen — eigensinnig,
smart und gerissen hinter ihrer Nette-alte-Dame-Fassade.
     
     
    «HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH, Mr.
und Mrs. Thomas C. Carlyle», fing der Brief förmlich an. Das Papier war dick
und weich, scharf geknifft, die Namen in fetter Schrift, wie üblich bei derlei
«persönlichen» Computerbriefen.
    Es gab kein solches Ehepaar.
Ich las weiter.
    Der Staubsauger summte
freundlich. Wenn Sie die Stimme Ihres Hoovers nie als besänftigend empfunden
haben, dann sicher nur, weil Sie ihn mühsam über einen Hochflorteppich
geschoben haben. Bei entsprechendem Abstand und von anderer Hand bewegt — in
diesem Fall den farbverschmierten Händen von Roz, meiner Mieterin plus
Neue-Welle-Künstlerin plus Gelegenheitsassistentin — , wirkt Staubsaugergebrumm
fast wie ein Wiegenlied.
    Roz bekommt Mietnachlaß als
Gegenleistung für einfache Hausarbeiten. Als Putzfrau ist sie eine wahre
Künstlerin. Meine Gewürze im Regal sind nach Farben sortiert, meine Nippsachen
alle gekonnt aufgestellt. Bücher und Zeitungen sind ordentlich zu gefälligen
schrägen Stapeln aufgebaut.
    Meine Böden waren noch nie so
dreckig, aber Roz hat keine Zeit für gründliches Reinemachen. Sie färbt ihr
Haar alle drei Tage in einer anderen Farbe, und dabei gehen die Stunden eben
hin. Ich mag Roz.
    Ein Anwaltsbüro in Omaha
geruhte mich davon in Kenntnis zu setzen, daß die obengenannten Mr. und Mrs.
Carlyle glückliche Gewinner bei seinem GROSSEN PREISAUSSCHREIBEN seien. Nach
einer unverbindlichen Tour durch eine «luxuriöse Ferienwohnungsanlage» an
irgendeinem Ort, den ich nie Lust hätte, zu besuchen, geschweige denn dort zu
leben, dürfte ich — oder vielmehr Mr. und Mrs. Carlyle - den ERSTEN PREIS IM
GROSSEN PREISAUSSCHREIBEN entgegennehmen, nämlich eine Reise nach Italien für
die ganze Familie inklusive aller Kosten oder 20 000 Dollar, nach freier Wahl.
    Ich suchte eine kleingedruckte
Anmerkung von der Art wie gültig bis gestern oder vorausgesetzt, Sie
spenden 30 000 Dollar an die Vereinigte Kirche der heiligen Armut. Ich
konnte nichts finden. Ich las das Ganze noch einmal. Ich murmelte vor mich hin:
Reise nach Italien, alle Kosten inklusive, 20 000 Dollar.
    Den Preis einzulösen würde
Schwierigkeiten machen.
    Ich kenne Mr. T. C. Carlyle
verdammt gut. Das T. C. steht für Thomas Cat alias Tom Cat oder Kater. Genau.
Ein Prachtexemplar, dieser Mr. Carlyle, aber eindeutig dem Katzengeschlecht
zugehörig. Von glänzendem Schwarz, die rechte Vorderpfote so weiß, daß es
aussieht, als hätte er sie in Sahne getunkt, hat Thomas Cat eine Veranlagung
zur Unabhängigkeit, wie ich es gern nenne, oder auch zum Eingeschnapptsein, was
der Wahrheit näher kommt. Er ist keineswegs so ein beflissener
Anzug-und-Krawatten-Typ. Ich kann ihn nur mit Mühe dazu bewegen, ein Glöckchen
um den Hals zu tragen, eine notwendige Demütigung, die ihn davon abhält, mir
tote Sperlinge auf meinen Teppich zu deponieren, und was zudem meinen Sittich
vor dem Überschnappen bewahrt.
    Ich habe meine Telefonnummer
unter Thomas C. ein tragen lassen. Ihm ist das recht. Er nimmt gern Anrufe von
Bewunderern des verstorbenen Dichters, von Meinungsforschern, überhaupt von
jedermann entgegen. Ich wollte meinen Namen nicht im Telefonbuch haben, weil
erstens Frauen komische Anrufe kriegen und zweitens Polizisten a. D. komische
Anrufe kriegen. Also habe ich Tom verzeichnen lassen, da er das einzige
männliche Wesen ist, mit dem ich normalerweise die Wohnung teile. Und was
glauben Sie: Er bekam schließlich sogar Post. Bittbriefe von
Wohltätigkeits-Organisationen und Werbesendungen von Wahlkandidaten für den
Kongreß. Kreditkartenangebote und Zeitschriften-Abonnements. Er abonniert die New
York Times Book Review und Mother Jones.
    Als Kater ist Tom ein echter
Schatz, aber mir war völlig unklar, wie ich ihn rechtzeitig verheiraten sollte,
um die Reise nach Italien oder das Geld einstreichen zu können.
    Die Türklingel übertönte
schrill das Staubsaugerbrummen, wie immer, wenn man gerade schäbige
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