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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen
Autoren: Joachim Fernau
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prasselte. Die Bauern der Umgebung bildeten Schutztruppen, die am Abend und in der Nacht wachten.
    Mit jedem Schritt näher an die Mauern der Stadt wuchs die Unsicherheit. Einbrüche, Diebstähle, Raubüberfälle waren an der Tagesordnung und entzogen sich längst der Zählung. Man war in Rom diesen Zustand so gewohnt, daß niemand mehr davon sprach. Bei dem Jähzorn, der vor allem bei den Halbwüchsigen fast immer eine Folgeerscheinung ihrer Immunität ist und große Ähnlichkeit mit einem Mini-Gäsarenwahnsinn hat, genügte schon ein scharfes Wort, ein schiefer Blick, um eine wilde Reaktion hervorzurufen. Die Straßen und Plätze waren zu allen Stunden voll von müßigen, sich langweilenden Jugendlichen und von Pöbel. Das Elternhaus wurde zur Tankstelle und menschlichen Garage. Die Polizei trug ganz unnütz Tag um Tag Verbrecher jeden Alters zusammen; die Richter, von einem nicht mehr erklärbaren Wahn des Allesverstehens befallen, ließen die Verhafteten wieder frei, um die Menschenwürde nicht zu kränken. Sie hatten auch Angst, Angst vor der Rache an der Familie und Angst vor der »öffentlichen Meinung« des Rinnsteins. Ädile, die Angriffen, wurden mit Steinen beworfen. Nicht die Gesetze bestimmten das Leben, sondern die augenblicklichen Zustände bestimmten die Rechtsprechung. Die Entscheidungen der Richter waren ein Hohn auf die Gesetze. Gerade die Älteren wetteiferten, einen Meter vor der Entwicklung zu marschieren.
    Der Staat war der Feind des ehrlichen Bürgers geworden. Er honorierte Ordnung nicht mehr, er ließ dem Krankhaften allen Schutz angedeihen und nannte das human. Der Anständige war ihm als lebender Vorwurf suspekt und wurde diffamiert, um nicht zum Ankläger werden zu können. Die Staatskasse verschwendete die Steuergelder in die Unterhaltung der Volksluxusbäder und ernährte die Masse der untätigen Proletarier von der Wiege bis zur Bahre. Die Inflation griff rapide um sich. Ein Denar, längst nicht mehr aus Silber, hatte zur Zeit des Commodus wenigstens noch den Wert von einigen Pfennigen. Hundert Jahre genügten, um ihn zu einem tausendstel Teil sinken zu lassen. Der Staat gab dieses Schundgeld an die Beamten und Angestellten desganzen Reiches aus und zwang sie, es zum Nennwert anzurrehmen, lehnte aber selbst, sobald es zu ihm zurücklief, die Annahme als Falschgeld ab. Er war zum Verbrecher geworden. Geldgeschäfte ruhten bald vollständig, der Handel mit fremden Ländern hörte auf. Rom fiel auf die Stufe der Naturalienzahlungen zurück. Wer gutes, altes Geld hatte, versteckte es. Alles flüchtete in Sachwerte, in leicht transportable, in Gold, Perlen und Edelsteine.
    Carpe diem. Tagtäglich strömten die Massen in die Circusse, Arenen und Theater. Schon Titus hatte das von seinem Vater gestiftete Colosseum mit hunderttägigen Spielen eingeweiht, bei denen fünftausend exotische Tiere ihr Leben lassen mußten. Jetzt, zur Spätzeit, herrschte dort fast pausenlos Betrieb. Es faßte über fünfzigtausend Zuschauer. Aber die anderen Arenen kamen hinzu. Der Circus Maximus faßte nach dem letzten Umbau hundertfünfundachtzigtausend Menschen. Sicher waren ständig dreihundert- bis vierhunderttausend unterwegs auf der Jagd nach dem »bißchen, was unsereins hat«, dem Vergnügen. Zehntausende von Gladiatoren ließen ihr Leben, Hunderttausende von Tieren wurden abgeschlachtet. Im Colosseum fanden riesige Jagden zwischen aufgebauten Felskulissen statt. Den Circus setzte man unter Wasser und trug Seeschlachten aus, bei denen sich die Gegner zu Hunderten echt töteten. Das Wasser war rot von Blut. Die Menge tobte und schrie, fraß und stank. Der Blutgeruch zog in Schwaden durch die Straßen.
    Eine neue Note kam in »das bißchen, was unsereins hat«, als die Christen- und Judenverfolgungen begannen. Die meisten der Opfer wurden im Circus Maximus den wilden Tieren vorgeworfen. Die Christensekte galt als geheimnisumwittert; man dichtete ihr Zauberei und sexuelle Orgien an und erwartete immer aufs neue zitternd vor Spannung die knallharten Volksfeste. An solchen Tagen — und es waren zeitweilig hundert im Jahr — brachen fast die Tribünen vor Menschenmassen, Männern und Frauen.
    An solchen Tagen war auch Hochbetrieb bei den Freudenmädchen und Mietkerlen, die sich in Scharen bei den Arenen zusammenzogen, denn es galt als einer der delikatesten Genüsse, noch mit dem Blutdunst in der Luft und dem Schreien der Opfer im Ohr einen Akt zu vollziehen.
    Rom war voller Dirnen. Ihr Strich waren die
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