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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen
Autoren: Joachim Fernau
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ist doch nie ein Grund gewesen, Kaiser zu werden. Komisch. Da er tausendfünfhundert Kilometer entfernt am Rhein saß, erriet er den Grund nicht; er wußte nicht, daß die Prätorianer dem guten Alten das Messer an die Kehle gesetzt hatten. Er kannte aber zur Genüge die allgemeine Lage: daß Nerva keinen Sohn hatte; daß man einem Beamtenapparat wie dem Senat die Ernennung von Kaisern unmöglich ein zweites Mal überlassen durfte, wenn man den Nimbus nicht endgültig zerstören wollte; und daß die Prätorianer eine Erpresserbande waren, denen irgendjemand einmal das Handwerk legen mußte. Dieser letzte Gedanke übrigens könnte bei genauem Hinsehen einer der Gründe gewesen sein, daß Trajan sich nach dem Tode Nervas unendlich Zeit ließ und erst fast zwei Jahre darnach in Rom erschien: eine hübsche Versuchung für die Prätorianer, die er im Falle einer Revolte garantiert einen Kopf kürzer gemacht hätte. Er schwebte nicht in psychoanalytischen Regionen. Terror kann man nur mit Terror brechen. Der Satz ist alt.
    Marcus Ulpius Traianus Nerva Caesar Augustus Imperator, jetzt fünfundvierzig Jahre alt, war in Italica, einem Städtchen bei Sevilla geboren. Mit ihm bestieg zum erstenmal ein Provinziale den Thron. Aber man braucht das nicht überzubetonen, denn er war natürlich kein Spanier, sondern Römer. Italica galt als eine der ältesten römischen Siedlungen. Trajans Vorfahren waren angesehene Leute in ihrer Stadt gewesen, was allerdings herzlich wenig besagt. Sein Vater jedoch scheint bereits aufgefallen zu sein, denn Vespasian rief ihn nach Rom, erkannte seine militärischen Fähigkeiten, ließ ihn zum General aufsteigen und machte ihn schließlich zum Statthalter in Syrien — und Vespasian verstand etwas von Menschen und Soldaten. In Sohn Marcus Traianus erreichte die Familienbegabung die Spitze. Er war leidenschaftlicher Soldat, seine ganze neunzehnjährige Regierungszeit wurde davon geprägt zur Freude aller militaristischen Geschichtsschreiber, aber phänomenalerweise ebenso zur Freude aller pazifistischen. Die einen, weil sie ein Schlachtendatum für die wahre Historie halten, die anderen, weil sie so herrlich über das »sinnlose Blutvergießen« herziehen können. Beide Anschauungen sind albern, ganz besonders die erste.
    Trajan, und mit ihm alle Römer, soll es als »unerträglich« empfunden haben, daß das »stolze Imperium« an die unruhigen Daker seit Domitian einen Tribut zahlte, er habe aus diesem Grunde den dreijährigen dakischen Krieg begonnen. Die Geschichtsbücher plappern das bis heute nach. Trajan hat solche kindischen Empfindungen nie gehabt. Wahr ist, daß er die ungesicherte untere Donau als das künftige Einfallstor nach Italien fürchtete, womit er vollkommen recht hatte, und daß er bezweifelte, Rom würde noch einmal einen Feldherrn wie ihn zum Kaiser haben, womit er ebenfalls recht hatte.
    Das war weitblickend und sinnvoll (was wenigstens ein schwacher Trost für die Sterbenden ist), und es endete alles, auch später der schwierige Krieg gegen die Parther, siegreich. (Was die Wunden der Hinterbliebenen etwas schneller heilen läßt.)
    Unter Trajan erreichte das rörrtische Imperium seine größte Ausdehnung. Die Geschichte lehrt, daß von der Größe eines Reiches oder von Eroberungen das Glück der Bürger nicht abhängt. Aber die Geschichte lehrt auch, daß, wer A gesagt hat, auch B sagen muß, sonst frißt ihn die Katz.
    Daß die Katz eines Tages kommen würde, davon wird Trajan überzeugt gewesen sein, denn er sah Rom durchaus klar. Er wußte, daß es keinen Schuß Pulver mehr wert war. Rom und das Reich waren zwei verschiedene Dinge geworden. Rom war ein ständig plärrender, nichtsnutziger Balg, dem die Onkel und Tanten vom Lande ewig das Maul vollstopfen mußten. Von den Millionen Einwohnern der Stadt lebten die oberen Hunderttausend von Besitzungen außerhalb der Mauern oder vom Rebbach ihrer Ämter. Der Mittelstand lebte vom Mundgerechtmachen und Verkaufen des Fressens, und hunderttausend Proleten ließen sich überhaupt ohne Beschäftigung ernähren. Im Imperium würde nicht ein einziger Stuhl gewackelt haben, wenn sich eine Million Stadtrömer in Luft aufgelöst hätte.
    Trajan verachtete Rom und war zugleich dazu verdammt, es zu lieben: das heißt, er war in der Lage, die wir Deutsche heute so gut kennen.

    *

    Trajan hat für die kleinen Leute viel getan; nicht weil sie noch als »arm« gelten konnten, sondern weil sie etwas mehr Sicherheit für ihr Alter verdienten.
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