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Bugschuß

Bugschuß

Titel: Bugschuß
Autoren: Hardy Pundt
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Strand säße und aus der Ferne eine Riesenwelle heranrollen sah, die Inseln und die Küste erreichend, die Elbe, Brunsbüttel, Krümmel … Tanja Itzenga schüttelte die Gedanken weg, beinahe krampfhaft. Es war zu fürchterlich. Fukushima! Drei Wochen Sensationsmeldungen und dann nicht mal mehr ein paar Zeilen auf Seite fünf wert, dabei war die Region für menschliches Leben unwiederbringlich verloren … Nein, nicht diese Gedanken, nicht jetzt. Sie wollte an etwas anderes denken. Die Dinge passten nicht zur ihrer Situation.
    Sie suchte lieber nach passenden Worten für ihr gegenwärtiges Dasein. Herrlich, wunderbar, eben zauberhaft? Sie fand, dass diese Worte, jedes für sich, eine gewisse Berechtigung hatten. Sie schienen zu passen und doch nicht alles zu erfassen, was in dem Gesamtbild steckte, das sie in diesem Moment wahrnahm.
    Als der Bescheid bei ihr zu Hause in Aurich eingetroffen war, die Kur sei genehmigt und sie könne sechs Wochen auf der Insel Juist verbringen, war ihr fast so, als wäre ihre Abgeschlagenheit, ihr angegriffenes Nervensystem, ihre Glieder- und immer häufiger auftretenden Kopfschmerzen, kurz, all die Anzeichen eines Burn-outs, für einen Moment vergessen. Selten war sie beim Arzt gewesen, doch dann waren ihr die Arbeit, die Überstunden, die Verbrechen, Betrügereien, Lügen und Morde über den Kopf gewachsen. Sie fand immer weniger Ruhe, hatte sich, fast trotzig, noch intensiver in die Arbeit gestürzt, wollte alles immer schneller und perfekter erledigen. Sie fand Anerkennung, wurde von Polizeipräsident Eilsen belobigt, und mit jedem abgeschlossenen Fall kamen neue Aufgaben hinzu: ›Frau Itzenga, für Sie ist das doch kein Problem … Sie als Expertin …‹ Irgendwann sträubten sich ihr die Nackenhaare, wenn sie so etwas hörte. Sie begann, gedanklich abzuschweifen, obwohl ihr ein neuer Fall vorlag, war bei Vernehmungen nicht mehr bei der Sache, machte Fehler, was Versäumnisse nach sich zog.
    Ihr Kollege Ulferts fragte: ›Tanja, was ist los?‹, Polizeipräsident Eilsen sagte: ›Liebe Kollegin – Ihre Arbeit hat nicht mehr die Qualität, die sie einmal hatte. Verstehen Sie mich nicht falsch, es ist wohl allzu viel gewesen in den vergangenen Monaten. Irgendwann leidet die Qualität. Das ist ganz normal. Ich mag sie gar nicht fragen, ob sie Folgendes noch tun könnten …‹, und sie antwortete: ›Es war viel, Herr Eilsen, sehr viel, aber … kein Problem, ich bügele das aus, und übernehme gerne die Aufgabe, ehrlich, das wird schon werden.‹ Was sollte sie auch sonst tun? Schwäche zeigen gegenüber ihrem Vorgesetzten? Entgegnen, dass sie Urlaub bräuchte, eine Auszeit? Zugeben, dass sie den Aufgaben, im Moment zumindest, nicht gewachsen war? Nein, das war in einer Welt, in der es darum ging, zu funktionieren, nicht vorgesehen.
    Dann landete ein komplizierter Fall auf ihrem Tisch. In der ostfriesischen Krummhörn hatte ein überarbeiteter und zu risikobereiter Banker angetrunken eine junge Frau angefahren und war kurz danach mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Baum gerast. Dabei wäre er beinahe selbst umgekommen. Durch einen Fund der Spusi fanden sie heraus, dass noch mehr hinter diesem Vorfall steckte. Einige Pannen später lösten sie schließlich den Fall, nachdem einer der Verdächtigen sie zum Täter führte. Zwar hatte eben dieser Verdächtige bis zuletzt nicht immer die Wahrheit gesagt, das interessierte jedoch, als der Fall ad acta gelegt wurde, niemanden mehr. Ihre dahin gehenden Bemühungen liefen bei Polizeipräsident Eilsen völlig ins Leere. Ihm ging es um das angeschlagene Bild seiner Polizei in der Öffentlichkeit. Während der Ermittlungen zu diesem Fall bemerkte Tanja Itzenga ein ums andere Mal, dass ihre Konzentrationsfähigkeit, ihre Kombinationsgabe und ihre sichere Urteilsfähigkeit in Mitleidenschaft gezogen wurden. Sie schweifte ab, während sie Gesprächspartner, Verdächtige oder Kollegen wie durch einen Schleier ansah und dennoch mit ihnen sprach. Der Fall wurde, trotz einiger Ermittlungsfehler, gelöst, doch der Polizeipräsident machte ihr anschließend die Hölle heiß. So etwas hing nach, manchmal Jahre. War es nicht immer so, dass man die Fehler, die jemand gemacht hatte, noch nach langer Zeit im Kopf hatte, die vielen, oft tagtäglichen positiven Leistungen aber nicht weiter beachtet wurden? Da konnte jemand zehn Jahre gut arbeiten, machte einen Fehler und sogleich hieß es: ›Er ist gut, aber damals, da …‹
    Dann kam der Moment, in dem
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