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Bugschuß

Bugschuß

Titel: Bugschuß
Autoren: Hardy Pundt
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sie einfach ohnmächtig wurde. Während einer Dienstbesprechung rutschte sie langsam vom Stuhl. Sie hatte verschlafen, war zur Arbeit gehastet, hatte nicht gefrühstückt und dann, viel zu schnell, zwei Tassen starken Kaffee getrunken, obwohl sie ansonsten längst dem Ostfriesentee frönte. Der herbeigerufene Arzt sagte: Da steckt mehr dahinter. Und Kolleginnen und Kollegen bestätigten, die Hauptkommissarin habe sich verändert, sie habe oft sehr lange gearbeitet und ein zunehmend dünneres Nervenkostüm. Das gleiche Adjektiv traf auf ihre Figur zu. Regelmäßiges Trinken und ebensolche Mahlzeiten waren über die vergangenen Monate zu kurz gekommen. Weiter, immer weiter, schneller, besser, und nur keine Schwäche zeigen!
    Die Hauptkommissarin fand sich im Krankenhaus wieder, wurde nach ihrer Entlassung mit zwei Wochen Zwangsurlaub versehen und der beinahe verpflichtend ausgesprochenen Empfehlung, sich in eine Kur zu begeben, die sie wieder auf beide Füße stellen sollte. Erstaunlicherweise setzte sich der Polizeipräsident persönlich dafür ein, und Kollege Ulferts raunte ihr zu: ›Der hat ein schlechtes Gewissen – der weiß genau, was er an dir hat!‹ Sie wusste nicht so recht, ob das stimmte, nahm sich aber vor, ihre Lebensweise zu überdenken und die Zeit zu nutzen, auch grundlegendere Fragen zu Sinn und Zweck des für jeden doch nur einmaligen Lebens zu stellen.
    Entgegen ärztlichem Rat, aufgrund dessen sie in die Berge geschickt werden sollte, argumentierte Itzenga bereits beim ersten Gespräch zum Thema Kur, dass sie eine Insel kenne, quasi vor der Haustür, das wäre der richtige Ort.
    Und hier war sie nun. Sie schloss die Augen. Ein bisschen schlafen und sich die laue Brise um die Nase wehen lassen … Dann noch einmal kurz in die Nordsee springen, bevor es gegen Abend zu einem Therapiegespräch ging. Bereits in der ersten zwei Wochen hatte sie gelernt, den Schalter umzulegen, wenn negative Gedanken kamen: Fehler, die geschehen waren, würde sie kein zweites Mal machen. Die Geschehnisse im Privaten tauchten wie vereinzelt aufleuchtende Flammen von Zeit zu Zeit in ihren Gedanken auf. Trennungen, Sterbefälle, Meinungsverschiedenheiten … Man konnte nicht ewig über all das grübeln. Ihre Gedanken wanderten wieder den Strand entlang, zur Massage am nächsten Morgen, und ein wohliges Kribbeln lief ihr über den Rücken. Der Masseur war ein echter Profi, ihre Rückenbeschwerden schienen wie weggeblasen. Und dazu war er noch nett und humorvoll. Danach ein Salat mit Krabben und, vielleicht, nach vielen Wochen, mal wieder ein kühles Bier, ein friesisch-herbes? Hatte nicht neulich der leitende Arzt selbst die alte Weisheit bestätigt: ›Ein Gläschen Wein oder ein Bier, das schadet niemandem, im Gegenteil!‹
    Wieder überflog eine Silbermöwe gackernd ihren Strandkorb. Schnell wurde ihr Geschrei mit dem Rauschen der Nordsee und dem Pfeifen des Windes weggetragen. Der Traum, den Tanja Itzenga jetzt träumte, hatte nichts mit Tsunamis und Reaktorunfällen, nichts mit Raub, Mord und Totschlag zu tun. Für all dies war im Moment kein Platz in ihrem Kopf.

3
     
     
    Der Mann war groß und sportlich, ein Hüne, den scheinbar nichts erschüttern konnte. Doch jetzt zeigte sich auf seinem Gesicht Entsetzen. Das Hemd war nass geschwitzt und klebte an Brust und Rücken. Er war braun gebrannt und konnte sich auf sein Aussehen einiges einbilden, angesichts der Tatsache, dass er nicht mehr der Allerjüngste war, was diverse, beim genaueren Hinsehen deutlich sichtbare graue Haare verrieten.
    Das Wetter war gut und wenn nicht alle gewusst hätten, dass gerade aus heiterem Himmel zwei Schüsse gefallen waren, wovon einer den Mann am Oberarm gestreift hatte, würde man meinen, er läge dort im Gras, um sich an diesem herrlichen Sommertag ein Nickerchen zu gönnen.
    Die Ruderer hatten guter Dinge und ahnungslos in dem neuen Doppelvierer gesessen, der Steuermann erzählte einen Döntje nach dem anderen und man genoss den Tag. Plötzlich hatte es geknallt. Vollkommen unerwartet.
    Der Schuss war aus den weiten Schilfflächen gekommen. Nichts hatte bis dahin auf etwas Ungewöhnliches hingedeutet. Gerade wollte die Mannschaft eine kleine Pause einlegen, da passierte es. Den lauten Schmerzensschrei ihres Ruderkameraden hörte man vermutlich bis zum Gasthaus am Meer auf der anderen Seite des Sees, in dem sie Rast gemacht hatten.
    Nach erster Verwirrung wickelte man dem angeschossenen Dietmar Stöwers ein T-Shirt stramm um den
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