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Bugschuß

Bugschuß

Titel: Bugschuß
Autoren: Hardy Pundt
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zogen am strahlend blauen Himmel gen Osten. Sie veränderten fortwährend ihre Gestalt, was man nur sah, wenn man die Muße hatte, sie länger zu beobachten. Es wehte ein stetiger, nicht allzu starker Wind, in den sich das Geschrei von Möwen, Austernfischern und der ein oder anderen Seeschwalbe mischte. Die Nordsee sendete immerfort ihre Wellen gegen den Strand, der jetzt, bei aufkommender Flut, zusehends schmaler wurde. Er begann im Westen in Form einer gigantisch großen Plate, aus der sich Richtung Osten Dünen erhoben, die allerdings ein von Wind und Wetter reichlich beanspruchtes Aussehen an den Tag legten. Hier gelangte die tagtägliche Flut bis nahe an die Dünen und erst später wurde der Strand, der sich 17 Kilometer lang von West nach Ost erstreckte, fortwährend breiter.
    Es gab drei ausgewiesene Badebereiche, einen beim sogenannten Loog, zwei vor dem Hauptdorf. Hier wurden die Urlauber von Rettungsschwimmern bewacht, für Kinder standen Spielgeräte zur Verfügung und die Kurverwaltung bot Frühgymnastik und diverse andere sportliche Aktivitäten an. Hinter dem östlichsten Bad wurde es wieder ruhiger, und obwohl über 10.000 Menschen in der Badesaison die Insel bevölkerten, bot sie spätestens hier – wie auch im Westen – jedem die Möglichkeit, den Blick in aller Ruhe über das Meer schweifen zu lassen und die Charakteristika zu genießen, mit denen sie um Gäste warb: die Weite, die Stille, das Licht …
    Eine Silbermöwe gackerte laut und vernehmlich, als sie im Tiefflug über den Strandkorb von Hauptkommissarin Tanja Itzenga raste und sie weckte, nachdem sie bei leichter Brise eingenickt war. Schon gut vier Wochen war Itzenga auf dem Töwerland, der Zauberinsel Juist. Ihr Strandkorb stand unterhalb des Kurhauses, dessen Glaskuppel an das Reichtagsgebäude in Berlin erinnerte. Doch hier war Nordseeküste, Hauptstadtpolitik interessierte allenfalls bei der Lektüre der Tages- oder Wochenzeitung. Die fiel lautlos in den Sand, wenn man die Nase voll hatte von Berichten über Parteien-Hickhack, Krieg, Mord und Totschlag, Intrigen, Atomunfälle, Plagiatssünder und den wieder und wieder gescheiterten Versuchen, drängende soziale Probleme zu lösen. Dann konnte man sich den Gedanken an Wind, Wellen und Meer hingeben und mit einem Lächeln auf dem Gesicht einschlafen – nicht ohne vorher noch einmal die wunderbare Luft tief eingesogen zu haben. Wann atmete man im normalen Alltag schon einmal so tief durch?
    Am Vormittag hatte Tanja Itzenga über ihren Masseur von der Eselsbrücke erfahren, die den Inselschulkindern half, sich die Reihenfolge der Ostfriesischen Inseln zu merken. ›Welcher Seemann liegt bei Nanni im Bett?‹ Jeder Anfangsbuchstabe stand für eine Insel: Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist, Borkum. Auf alten Seekarten war des Öfteren der Name ›Iuist‹ vermerkt worden, aus dem sich später ›Juist‹ entwickelte. So gesehen hatte das I für Juist eine gewisse Berechtigung. Streng genommen fehlten zwei Inseln in der Liste, Memmert und Lütje Hörn, aber das war wohl der Tatsache geschuldet, dass dies geschützte Gebiete waren und daher dem Seebäderdienst und Tourismus weitestgehend verschlossen blieben. Und wer wusste heute schon, ob man für die langsam zur Insel werdende Sandbank ›Kachelotplate‹ irgendwann einmal ein K in den Spruch einbauen müsste, falls sie nicht eines Tages mit Juist oder Memmert zusammenwächst.
    Tanja Itzenga blinzelte in den Himmel. Der Roman, den sie gerade las, war spannend. Ein mächtiger Eisblock hatte sich vor Norwegens Küste gelöst und einen Tsunami verursacht, der halb Europa verwüstete. Zufällig hatte sie ein paar Tage vorher in der Zeitung gelesen, auch renommierte Wissenschaftler hielten es für möglich, dass so etwas passieren könnte. Darüber hinaus hatte es in der Vergangenheit nachweislich Monsterwellen in der Nordsee gegeben. Nach dem Unglück in Japan waren alle Politiker schnell dabei, so etwas für die deutsche Küste auszuschließen – aber wie war das mit dem Quäntchen Unsicherheit, das jeder Prognose anhaftete? Das Zusammenkommen eines so schweren Erdbebens und eines derart zerstörerischen Tsunamis war auch vor Japans Ostküste als überaus unwahrscheinlich eingeschätzt worden. Und schon war es passiert und führte der Welt vor Augen, dass Wahrscheinlichkeiten zwar schätzbar waren, es aber niemals eine endgültige Sicherheit gab.
    Kurz stellte sich die Hauptkommissarin vor, wie sie am Juister
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