Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bugschuß

Bugschuß

Titel: Bugschuß
Autoren: Hardy Pundt
Vom Netzwerk:
Binnenseen, ihre Ufer, das Schilf. Das Große Meer hatte es ihm besonders angetan. Selbst wenn er jetzt jemandem begegnete, was hier in der Schutzzone unwahrscheinlich war, hätte er tausend Ausflüchte parat. Eigentlich brauchte er nichts zu befürchten. Der Rückweg, falls er seine Absicht überhaupt ausführen könnte, wäre heikler.
    Der Wind rauschte im von Weidengebüsch durchsetzten Schilf, die Sonne schien, einige weiße Kumuluswolken zogen am blauen Firmament von West nach Ost. Ein schönes Plätzchen, ging es ihm durch den Kopf, nice and peaceful. Den Spruch hatte er mal in einer Dokumentation über Neuseeland aufgeschnappt und seitdem nicht mehr vergessen.
    Das Warten schien endlos, und manchmal überlegte er, ob die ganze Idee nicht wahnsinnig sei. Doch sofort übermannte ihn wieder dieses Gefühl. Es stieg in ihm auf, verursachte Herzrasen, ließ Schweiß auf seiner Stirn ausbrechen. Nein, er wollte, er musste es tun. Hatte sich die Wut nicht schon seit einer Ewigkeit in ihm festgesetzt, hatte er sie nicht viel zu lang unterdrückt?
    Er wusste, wohin sie wollten. Sie konnten nur diesen Weg nehmen, übers Wasser gab es keinen anderen. Er war dabei.
    Stimmen. Der Takt regelmäßig ins Wasser schlagender Ruderblätter. Noch sah er nichts, die Schneise, die den Blick auf die freie Wasserfläche ermöglichte, war schmal und bestand im Grunde nur aus weniger dicht stehenden, kräftigen Halmen. Ihn würde niemand sehen – und er würde ihn nur kurze Zeit zu Gesicht bekommen. Der Moment nahte. Jetzt hieß es, die Rechnung zu begleichen, endlich. Seine Erregung stieg.
    Er öffnete seinen Rucksack und holte einen Gegenstand aus einer unscheinbaren schwarzen Tasche. Er zog den Reißverschluss der Tasche auf, griff hinein. Eine kleine, handliche Pistole kam zum Vorschein.
    Die Boote, die sich näherten, würden jeden Moment an dem Punkt sein, wo er sie sehen konnte. Fast geriet er ein wenig in Unruhe, ja Panik, während er die Pistole einsatzbereit machte. Das laute Kommando »Ruder halt!« ertönte, und der regelmäßige Schlag wurde durch ein Schlittergeräusch ersetzt. Die Sportler in den beiden Booten hatten das Rudern eingestellt. Die Blätter lagen flach auf dem Wasser, die Boote wurden deutlich langsamer, bald würden sie jegliche Fahrt über Grund einstellen.
    »Was ist los?«, rief einer dem Steuermann zu.
    »Kleine Pause – und Zeit für ein Pils! Der Mann im Bug sorgt dafür, dass das Boot nicht ins Schilf treibt. Dann arbeitest du endlich mal was, bislang tauchst du die Blätter ja nur kurz ins Wasser und hebst sie wieder raus. Pullen tun ja wohl nur die anderen!«, antwortete dieser, und sein Kommentar wurde mit Lachen, Klatschen und Zustimmung gewürdigt.
    Als jeder eine Flasche in der Hand hielt, sagte der Steuermann des Vierers laut und deutlich: »Jungs, kann es schöner sein? Bestes Wetter, herrliche Sonne, und wir endlich mal wieder zusammen im Boot, Urlaub, Rudern, Pilsbier … Ich sag mal: Prost!«
    Unmittelbar nach dieser Aufforderung, den ersten Schluck zu nehmen, durchschnitt ein lauter Knall die Stille der Natur, direkt darauf ein zweiter. Ein kurzer Blick zu den Booten. Trotz der hohen Anspannung huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Schießen konnte er. Er wollte nicht töten, er wollte eine Lektion erteilen, nur das, eine Lektion. Vorerst jedenfalls …
    Nach den Schüssen waren zunächst entsetzte Schreie zu hören, dann nur noch das Rauschen des Windes im Schilf. Die aufgeregten Stimmen verloren sich. Jetzt musste er verschwinden, schneller Rückzug. Das musste funktionieren, das war die kritische Phase seiner Unternehmung. Er musste Acht geben, dass ihn niemand entdeckte, hier im Schilf, halb im Wasser. Dann mit dem Boot erneut übersetzen. Er würde nicht den Weg nehmen, den er gekommen war, an den Meerbuden vorbei. Es gab die Möglichkeit, an einem Entwässerungsgraben, der einen Acker von einer Weide trennte, entlangzugehen. Dort gab es dichtes Weidengebüsch, ein paar Erlen, hier und da ein Holunder. Gute und einzige Deckung in diesem platten Land. Schnell folgte ein kleines Wäldchen. Hier könnte er kurz verschnaufen, bevor er weiter zu seinem Auto ging, um sich vollends aus dem Staub zu machen.
    Bevor die Polizei eintraf, die mit den örtlichen Verhältnissen sicherlich kaum vertraut war und deshalb längere Zeit brauchen würde, um zum Tatort zu gelangen, wäre er längst über alle Berge. Sofern diese Redewendung mitten in Ostfriesland taugte.

2
     
     
    Haufenwolken
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher