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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
Autoren: Donna Leon
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an.
    Eines Abends, als sie miteinander im Wohnzimmer saßen, blickte Paola von ihrem Buch auf und überraschte Brunetti mit dem Spruch: »Jarndyce gegen Jarndyce.«
    »Wie bitte?« fragte Brunetti.
    Ihre Blicke trafen sich, Paolas Augen hinter der Lesebrille wirkten leicht vergrößert. »Ach, nichts«, sagte sie. »Nur eine langwierige Geschichte aus einem Buch.«
    Sechs Monate später starb Gianpaolo Filipetto friedlich im Schlaf. Da er der Gemeinde von San Giovanni in Bragora angehörte, wurde er mit allem Pomp in deren Grablege beigesetzt, und die Stadt gab ihm ein Ehrengeleit, wie sie es seinem Alter und seinem hohen Ansehen schuldig war.
    Brunetti kam zu spät und verpaßte die Totenmesse, konnte sich aber gerade noch unter die Leute mischen, die als erste aus dem Portal traten und sich in respektvollem Schweigen vor der Kirche versammelten, um auf den Trauerzug zu warten. Sechs Männer trugen den dunklen Mahagonisarg, der mit einem dichten Teppich aus roten und weißen Rosen bedeckt war. Der erste, der aus dem dämmrigen Kirchenschiff trat, war der Pastor, ein Greis, gebeugt von der Last fast ebenso vieler Jahre, wie dem Verstorbenen vergönnt gewesen waren. Dicht hinter ihm folgte Filipettos Tochter, deren Hausarrest für die Dauer der Beisetzungsfeierlichkeiten aufgehoben war, am rechten Arm mit fester Hand von ihrem Gatten geführt. Maxwell Ford hatte in den letzten Monaten zugenommen und strotzte förmlich vor Gesundheit und Wohlsein, sie dagegen war noch eckiger und besendürr geworden.
    Ford hielt den Blick im Gehen auf das Gesicht seiner Frau geheftet; der ihre war zu Boden gesenkt. Die Menge teilte sich und bildete vor den Sargträgern, die gemessenen Schrittes auf den campo hinaustraten, ein Spalier. Vom bacino her, wo die Gondel festgemacht war, die den Verstorbenen auf den Friedhof überführen sollte, kam ein Mann auf den Platz geeilt. Kaum daß er den Sarg erblickte, lief er auf den Pfarrer zu und sprach ihn an; der greise Priester wandte sich um und deutete auf Ford. Der Mann nickte und machte Ford ein Zeichen, woraufhin der seine Frau mit einer leisen Bemerkung verließ und sich zu dem Fremden gesellte.
    Brunetti nutzte die Gelegenheit, um sich Eleonora Ford zu nähern.
    »Signora«, grüßte er und trat mit einer leichten Verbeugung vor sie hin.
    Sie blickte auf, erkannte ihn sofort, sagte aber nichts. Brunetti hatte den Eindruck, sie sei seit ihrer letzten Begegnung um mehr Jahre gealtert, als Monate ins Land gegangen waren. Abgezehrte, hohle Wangen umrahmten einen verdorrten Mund, und sie sah aus, als sei ihr der Schlaf abhanden gekommen.
    Sie schlug die Augen nieder und sprach so leise, daß er sich hinunterbeugen mußte, um sie zu verstehen. »Sagen Sie, was Sie mir zu sagen haben, bevor er zurückkommt.« Hastig stieß sie die Worte hervor und blickte dabei verstohlen nach links, wo ihr Mann sich mit dem Fremden unterhielt.
    »Haben Sie die Zeitungsberichte über Ihren Fall gelesen, Signora?« fragte Brunetti.
    Sie nickte.
    »Auch den Obduktionsbericht?«
    Jetzt weiteten sich ihre Augen, und dann schloß sie für einen Moment die Lider. Brunetti deutete das als Bestätigung, doch er wollte es aus ihrem Munde hören.
    »Nun, haben Sie ihn gelesen?«
    »Ja.«
    »Dann wissen Sie also, daß sie noch Jungfrau war.«
    Sie öffnete den Mund, und er sah, daß sie beide Vorderzähne im Unterkiefer verloren und nicht hatte ersetzen lassen. »Er hat mir geschworen...«, begann sie und stockte, ängstlich zu ihrem Mann hinüberschielend.
    »Das glaube ich Ihnen gern, Signora«, sagte Brunetti, wandte sich ab und überließ sie den Männern in ihrem Leben.
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