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Eifel-Krieg

Eifel-Krieg

Titel: Eifel-Krieg
Autoren: Jacques Berndorf
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1. Kapitel
    Mein Kater Satchmo ist tot. Er war achtzehn Jahre lang ein sehr guter Kumpel, und er bestand achtzehn Jahre lang auf seiner Unabhängigkeit, er war nicht käuflich. Er war eine echte Eifeler Scheunenkatze.
    Mein Freund Tom Ewertz, Bauer in Niederehe, hatte ihn mir geschenkt, als er nicht mehr war als eine Handvoll. Anfangs lebte er zusammen mit seinem Bruder Paul bei mir, bis der an einem nebligen Tag stracks in ein Auto rannte. Satchmo mochte Autos seitdem nicht und schaute durchaus aufmerksam, ob er die Dorfstraße gefahrlos queren konnte.
    Es war kein Auto, es war das Alter. Satchmo baute rapide ab, die Nieren machten ihm Schwierigkeiten, er lag desinteressiert herum, er ging immer weniger hinaus in den Garten, er wurde hager wie ein alter Mann ohne Mut und Hunger. Er sprach auch nicht mehr mit mir, was er sein ganzes Leben lang getan hatte. Immer wenn wir aufeinandertrafen, jaulte er in allen erdenklichen Tonlagen, und ich hatte den Eindruck, er wollte mir mitteilen, was er den Tag über im Dorf erlebt hatte. »Stell dir vor, wen ich getroffen habe. Die alte Lisbeth. Auf dem Weg zum Friedhof …«
    In den letzten Tagen des vergangenen Jahres war es ganz schlimm. Er fraß nicht mehr. An Silvester verlor er jede Kontrolle, da begann er zu sterben, das machte mir Angst. Er konnte nicht mehr stehen. Und wenn er sich mühsam auf die Beine zu stellen versuchte, begann er, sekundenlang wild zu schwanken, und schoss dann mit zwei, drei Trippelschritten vollkommen haltlos gegen irgendein Hindernis. Gegen einen Heizkörper zum Beispiel oder einfach in eine Zimmerecke oder gegen einen Plastikeimer. Er fiel um und blieb an dem Platz, an dem er scheiterte. Es war so, als würde er nichts mehr sehen, als wäre er blind. Und wenn ich ihn rief, hob er nicht einmal mehr den Kopf.
    Ich konnte nicht mehr zusehen und rief in der Praxis von Susanne Fügen in Daun an. Ich sagte, was zu sagen war. Satchmo kam in seinen Plastikbehälter, er wehrte sich nicht, und wir fuhren nach Daun. Gewöhnlich hatte mein Kater mit wilder Hysterie auf diese Praxis reagiert und mit noch größerer Hysterie auf den blanken Stahltisch. Das schien ihn nicht mehr zu berühren, wahrscheinlich begriff er das alles nicht mehr.
    Er bekam eine Winzigkeit intravenös gespritzt, er zuckte nicht, er blieb ganz ruhig, zu Tode erschöpft. Dann war er fort, und Susanne Fügen fragte mich freundlich und sanft, ob ich noch eine Weile lang mit ihm allein sein wolle. Das wollte ich nicht.
    Immer wieder, wenn ich im EDEKA in Kelberg einkaufen gehe, finde ich mich in der Abteilung Tierfutter wieder und überlege, ob ich Katzenstreu oder Katzenmilch mitnehmen muss. Das wird seine Zeit brauchen, auch mein alter Satchmo geht nie so ganz.
    Aber eigentlich will ich die Geschichte von Blue erzählen, die in diesem sommerlichen Juni so hinterhältig, brutal und traurig begann und schlussendlich in einem Chaos endete, mit dem niemand hatte rechnen können.
    Es fing an, als Rodenstock mich gegen Abend beiläufig anrief und damit lockte, dass Emma gerade Melonen mit rohem Schinken von Otten in Strohn auf den Tisch brachte – »handgeschnitzt«, wie er mir versicherte. Ob ich denn in Heyroth aufschlagen könne, um Schinken und Melone zu zerstören? Ich sagte natürlich zu, weil ich immer zusage, wenn es irgendetwas Kostenloses gibt, da bin ich sehr konsequent. Ich fuhr also die lächerlichen zwei Kilometer zu ihrem Haus und freute mich auf ein munteres Geplauder bei Schinken und Melone unter einer abendlichen, immer noch warmen Sonne.
    Rodenstock stand in der Tür, empfing mich mit einer hastig geflüsterten Information, von der ich kein Wort verstand, drehte sich um und stapfte vor mir her.
    Emma kam auf mich zu, umarmte mich kurz, wies hinter sich und brüllte erschreckend laut: »Das ist Tante Liene aus Sydney. Sie will noch mal Europa sehen.«
    Besagte Tante Liene hockte auf einem Kissenberg in einem alten Ledersessel und sah aus wie ein Wesen aus einer anderen Welt, ein klassischer Alien. Ihr Gesicht war ein kleines, ovales, rissiges Stück altes Leder, nicht einmal die Nase war ohne Falten. Ihr Haar war ein verwirrendes, helles Gespinst in äußerst lockerer Bebauung, das in einer einzelnen Strähne quer über ihren ansonsten vollkommen kahlen Schädel gelegt war. Sie konnte auf keinen Fall mehr als vierzig Kilo wiegen, und ihre Figur war tropfenförmig. Sie trug irgendetwas Dunkelbraunes und Sackartiges, das mich an die Naturbegeisterten meiner Jugend erinnerte.
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