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Freiwild Mann

Freiwild Mann

Titel: Freiwild Mann
Autoren: Edmund Cooper
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    Es war ein vollendeter Sommermorgen – ideal für den Vernichtungstag. Rura hielt das Frauto auf mittlerer Höhe und mittlerer Geschwindigkeit, für die zerklüfteten Täler von Cumberland die richtige Fahrweise. Einhundertfünfzig Stundenkilometer, einen Meter über der Erdoberfläche. Bei dieser Geschwindigkeit war es unwahrscheinlich, daß man von irgend etwas überrascht werden würde. Sie hatten noch viel Zeit, um rechtzeitig vor der Dämmerung ins schottische Hochland zu kommen und dort Blut zu finden. Außerdem war es gut möglich, daß der Überwachungshubschrauber, der träge über ihnen kreiste, lange vor dem Hochland geeignete Zielobjekte ausmachen würde. Ein paar von den Rückschreitern waren frech genug, in den Süden vorzustoßen.
    Rura war müde. Ihren Begleiterinnen, Moryn und Olane, ging es wahrscheinlich nicht anders. Die traditionelle Orgie am Abend der Vernichtung hatte alle Rekorde gebrochen. Zweifelsohne würde sie als eine der Größten im fünfundzwanzigsten Jahrhundert in die Geschichte des Colleges eingehen. Rura konnte sich erinnern, mit drei Mädchen ins Bett gegangen zu sein. Danach verschwamm die Erinnerung. Nur die Göttinnen wußten, wie viele Frauen hinterher noch mit ihr ins Bett gestiegen waren. Jetzt rauschte das Frauto am Ufer von Windermere entlang. Das Sonnenlicht lag sanft auf den Abhängen und verwandelte die Hügel, die Felsen und die Moorlandschaft in ein Gebilde von unendlicher Schönheit. An einem Tag wie diesem … An einem Tag wie diesem, dachte Rura, ist es wirklich das letzte, Männer zu jagen und sich in ihrem ekelhaften Blut zu suhlen. Aber Tradition bleibt Tradition. Der letzte Tag am College der Vernichterinnen war schon immer diesem symbolischen Blutvergießen vorbehalten gewesen, einem Beweis für den Glauben an die Sache und der Schlußpunkt hinter zwei Jahre harten Trainings.
    ,Nur noch zwei Wochen’, dachte Rura, ‚dann werde ich zwanzig Jahre alt sein. Dann bin ich Mitglied der Frauenschaft. Ich werde den goldenen Schädel und die gekreuzten Knochen der Vernichterinnen tragen. Ich werde von Frauen begehrt werden, ich werde auswählen können.’
    Rura fühlte sich schuldig. Sie hätte glücklich sein sollen. Aber sie fühlte sich schuldig. Fühlte sie sich schuldig, weil sie nicht glücklich war? Warum fühlte sie sich eigentlich nicht glücklich? Sie wußte es nicht. Sie versuchte, sich an die Frauen zu erinnern, die sie in ihren Armen gehalten und geliebt hatte. Sie versuchte, sich an die weit geöffneten, überraschten Augen zu erinnern, an die Lippen, die Brüste, Berührungen, Nähe, das Geben und Nehmen. Aber alles, woran sie sich erinnern konnte, war Leere. Vielleicht hatte sie zu hart gearbeitet.
    „Fahr auf dem Wasser“, sagte Moryn. „Fahr auf dem Wasser, Liebling. Wir wollen aus Windermere ein Tal aus Schaum machen. Schaum im Sonnenlicht. Wir wollen eine Spur hinterlassen, um den Vernichtungstag zu feiern.“
    Rura lächelte und setzte das Frauto auf die Wasseroberfläche. Es war ein sehr ruhiger See gewesen, spiegelglatt. Aber jetzt pflügte der Luftstrom des Frautos hindurch, warf Wände aus winzigen Wassertropfen auf, durch die das Sonnenlicht fiel und durchsichtige Regenbogen erzeugte.
    Olane blickte zurück auf das Kielwasser, die im See ersterbende Spur des Frautos. „Wir schreiben ins Wasser, wir schreiben in die Luft“, sagte sie geheimnisvoll. „Keiner von uns wird jemals in Felsen schreiben.“
    Olane war eine der Frauen, die Rura am Vernichtungsabend geküßt, in ihren Armen gehalten und zur Ekstase getrieben hatte. Sie warf ihr einen Blick zu, sah die Trauer in ihren Augen und wurde augenblicklich depressiv.
    „Olane, mein Schatz, wir können nicht ewig leben.“
    „Manchmal“, sagte Olane, „glaube ich, daß wir einfach nicht leben können.“
    Moryn spürte die Melancholie ihrer Gefährtinnen und bekämpfte sie mit sofortiger Fröhlichkeit. „Ich habe eine Flasche Brandy mitgebracht“, rief sie aus. „Los, wir trinken auf hübsches Blutvergießen.“
    Rura war überrascht. „Alkohol am Vernichtungstag ist streng verboten. Wir könnten von den Vernichterinnen ausgeschlossen werden.“
    „Das merkt doch keiner! Auf unseren Gesichtern wird Blut und die Brandyflasche auf dem Grund eines schottischen Sees sein. Wir wollen trinken und fröhlich sein, weil wir heute töten.“
    Rura verschüttete ihren Brandy, als sie von Windermere abhob und über die Berge flog. Insgesamt waren fünf Frautos und fünfzehn
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