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Eifel-Krieg

Eifel-Krieg

Titel: Eifel-Krieg
Autoren: Jacques Berndorf
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Sie konnte höchstens eins vierzig groß sein, und nur ihre Augen lebten. Diese Augen waren zwei winzige, tiefschwarze, leuchtende Punkte.
    Ich musste mich räuspern, dann sagte ich brav etwas lauter: »Ich bin der Siggi«, und reichte ihr eine Hand.
    »Sie hört nicht mehr richtig«, dröhnte Emma. »Aber sie ist immerhin auch schon dreiundneunzig.«
    Tante Liene griff nicht nach meiner Hand, wahrscheinlich sah sie gar nichts mehr.
    »Mit dem Sehen ist das auch so eine Sache«, schrie Emma.
    Ich wiederholte lauter: »Ich bin der Siggi« und legte der Zwergin flüchtig eine Hand auf die Schulter.
    »Und nun wollen wir essen!«, schrie Rodenstock.
    Die Zwergin fragte krächzend: »Is er a Jidd?«
    »Neeh!«, brüllte Emma. Sie stand an der Arbeitsplatte und matschte eine Scheibe der Melone mit einer Gabel klein, dann schnitt sie eine Scheibe des Schinkens in winzige Bestandteile, kam mit dem Teller zu der Zwergin, setzte sich auf die Sessellehne und schrie: »Dann wollen wir mal!«
    »Du lieber mein Vater!«, flüsterte Rodenstock mit geschlossenen Augen.
    »Wie ist sie denn hergekommen?«, hauchte ich. »Mit einem Segelschiff?«
    »Verwöhnkomfort, Singapore Airlines, erste Klasse«, antwortete er. »Den Rest von Frankfurt mit dem Taxi. Vorgestern waren wir noch völlig ahnungslos. Sie will vier oder sechs Wochen bleiben. Ich fange an, meine Frau zu hassen. Wir hatten es hier so schön.«
    Einen Augenblick lang dachte ich, Rodenstock wäre ein hervorragender Bauchredner, seine Lippen bewegten sich kaum. »Wieso seid ihr nicht gewarnt worden?«
    »Das hätte doch keinen Sinn gehabt, sie wäre sowieso gekommen. Und wahrscheinlich waren die in Sydney froh, sie mal loszuwerden.«
    »Das hast du gut gemacht«, stellte Emma laut fest. »Willst du jetzt ein Schläfchen machen?«
    »Yep!«, nickte Tante Liene. Dann sackte ihr Kopf zur Seite, und sie tat einen tiefen Atemzug. Sie atmete leicht rasselnd, sie schlief.
    »Setzen wir uns in den Garten?«, fragte Emma lächelnd.
    Wir nahmen das Geschirr und setzten uns in den Garten an den Holztisch. Emma brachte die Eifeler Köstlichkeiten.
    »Das wird eine Katastrophe«, murmelte Rodenstock düster.
    »Es ist schwer! Ja!«, pflichtete Emma mit schneidender Stimme bei. »Aber du wirst den Mund halten, verdammt noch mal.« Sie machte eine Pause und nahm einen neuen Anlauf. »Liene hat Auschwitz überlebt. Da war sie fünfundzwanzig. Sie hatte zwei kleine Kinder, sie hatte einen Ehemann. Alle drei wurden getötet.« Sie machte wieder eine Pause. »Es ist gesagt worden, dass sie nur überlebte, weil sie mit ein paar Männern der KZ-Aufsicht schlief. Wann immer die es wollten. Sie war bei einem dieser furchtbaren Todesmärsche dabei. Sie hat bis heute nie mehr darüber geredet. Es war also ein Scheißleben, Rodenstock! Und sie ist einfach zu uns gekommen, weil sie den Schlussstein ihres Lebens sucht.«
    »Ist ja gut, es tut mir leid«, murmelte Rodenstock. Dann stand er auf, beugte sich zu seiner Frau hinunter und umarmte sie.
    Weil Emma plötzlich weinte, schwiegen wir.
    »Verdammte Kacke!«, explodierte sie heftig. »Es muss doch endlich mal Schluss sein damit.«
    Natürlich war das Essen vergessen, natürlich schwiegen wir, natürlich wirkte das sehr gequält, bis Rodenstock mich fragte: »Kennst du einen jungen Mann, der Blue genannt wird? Hier aus der Gegend? Ungefähr zwanzig Jahre alt?«
    »Nie gehört. Wer ist das?«
    »Angeblich lebt er seit drei Jahren auf dem Eulenhof. Aber so ganz genau scheint das niemand zu wissen.«
    »Eulenhof? Diese Leute, von denen es heißt, sie seien Neonazis?«
    »Genau«, sagte er und nickte knapp. »Neonazis und Zuhälter und Rassisten und was weiß der Teufel noch alles.«
    »Keine Ahnung«, sagte ich.
    »Der Junge ist seit gestern spurlos verschwunden. Er wollte frühmorgens zu seinen Eltern nach Trier. Er kam aber nicht dort an. Dann riefen seine Eltern die Polizei, und die fuhr ein bisschen herum und erkundigte sich. Bisher ohne Erfolg. Die vom Eulenhof haben gesagt, sie hätten keine Ahnung, wohin der Junge verschwunden sein könnte.«
    »Warum fragst du ausgerechnet mich? Hätte er bei mir klingeln sollen?«
    »Nein, aber der Vater hat mir gesagt, dass der Junge oft hier bei uns im Ahbachtal war. Immer, wenn er allein sein wollte. Er streunte herum. Lag im Gras und so, meistens allein. Beobachtete Vögel, hatte wohl auch eine Gruppe Wildkatzen im Blick. Deshalb frage ich dich.«
    »Keine Ahnung«, wiederholte ich. »Ich habe keinen jungen
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