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Eifel-Krieg

Eifel-Krieg

Titel: Eifel-Krieg
Autoren: Jacques Berndorf
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sagen, warum ich das tat, wahrscheinlich war ich nur gründlich. Ich erinnerte mich an das, was Rodenstock gesagt hatte. Daran, dass der Junge namens Blue einen ängstlichen Vater hatte, der ihn hysterisch vermisste. Dass der Junge eigentlich bei seinen Eltern in Trier sein müsste, dort aber nicht angekommen war.
    Das Tal des Ahbachs war ein Ort zum Träumen. Es schlängelte sich der schmale Bach in wilden Kehren und Schleifen durch das enge Wiesental, gluckerte besänftigend und schaffte eine beinahe vollkommene Stille. In großen Abständen standen Gruppen kleiner Erlen an seinem Ufer, und da, wo das Wasser ein wenig breiter einen kleinen, flachen Tümpel schuf, ging das Vieh auf die andere Seite – immer auf der Suche nach dem saftigsten Gras. Man sah Graureiher, die kleine Fische aus dem Wasser zogen, angeblich hatten Naturfreaks Schwarzstörche gesehen, Raubvögel horsteten an den Waldhängen, ganz früh am Morgen und am Abend trat Rotwild aus dem Wald. Es gab keine Störungen, keine Menschen, keine Maschinen. Und keine Straße, auf der irgendein Verkehr floss. Und jedes Mal, wenn man in den Wiesen Leute sah, dachte man erschreckt: Jetzt haben die blöden Touristen das Tal entdeckt und machen es kaputt.
    Ich hielt an einer Stelle, von der aus ich leicht in die Wiesen unter mir gelangen konnte. Es war vollkommen still. Der Bach lag unter der morgendlich grellen Sonne, Kohlweißlinge, Zitronenfalter und viele Kleine Füchse taumelten durch das Licht. Es gab Insekten in Hülle und Fülle, und auf vielen Gräsern saßen die Käfer, die man Blutstropfen nannte und auf deren Rücken eine intensive, rote Punktierung strahlte – Überschwang des Lebens.

    Anfangs siehst du nicht genau, deine Augen können Hell und Dunkel noch nicht voneinander trennen, müssen sich erst an die Umgebung gewöhnen.
    Also hockte ich mich an das munter plätschernde Wasser und stopfte mir eine Pfeife. Es war eine Mariner 10 von
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, eine sachliche, konservative Schöpfung mit edler, grüner Lackierung. Ich paffte vor mich hin, während meine Augen sich an dieses stille Tal gewöhnten und allmählich das Sehen lernten. Auf der rechten Seite trat ein dichter Mischwald unmittelbar und ohne Grenze bis an die Wiesen im Tal, linkerhand war der steile Hang mit Weißdorn und Schlehenbüschen, ein paar Kiefern und Haselnusssträuchern besetzt.
    Ich suchte nach Auffälligkeiten, nach Farbflecken, die nicht in das Tal gehörten. Zuerst lief ich eine Zeit lang unschlüssig umher, mir war nicht klar, in welcher Richtung ich suchen sollte. Dann sah ich auf dem linken Hang irgendetwas unter einem Haselbusch, das blau war, konnte aber nicht erkennen, was es genau war. Ich schlenderte dorthin.
    Er lag im Schatten unter einem sehr dichten Haselstrauch. Er lag auf der Seite, das linke Bein lang ausgestreckt, das rechte hoch an den Körper gezogen. Beide Hände lagen frei nach vorn ausgerichtet, als hätte er versucht, noch einmal aufzustehen. Er trug nur ein graues T-Shirt, darüber eine kurze, grüne Allwetterjacke, einfache, abgetragene Jeans, dazu braune Sneakers ohne Strümpfe.
    Wahrscheinlich sagte ich irgendetwas, wahrscheinlich einfach »Hallo!« oder »Guten Tag«, ich erinnere mich nicht mehr. Ich weiß nur, dass die meisten Menschen unter diesen Umständen einfach irgendetwas sagen, weil sie hoffen, dadurch den Tod zu verscheuchen, und weil da die Erwartung ist, dass der Tote sich mit einem leichten Grinsen erhebt.
    Ich kniete neben ihm nieder und sah zuerst seinen halb offenen Mund, der auf trockenen, welken Blättern aus dem Vorjahr lag. Neben seinem zur Hälfte geschlossenen rechten Auge saß eine Schmeißfliege, ich scheuchte sie fort. Die Gesichtshaut war totenblass.
    Der Schuss hatte ihn genau in die Mitte der Stirn getroffen, es war ein vollkommenes, kleines Rund, umgeben von längst getrocknetem Blut. Keine dunklen Schmauchspuren, nichts deutete daraufhin, dass er selbst sich getötet hatte. Der Schusskanal verlief leicht von unten nach oben, das Projektil hatte ihm die hintere Schädeldecke zerschmettert. Eine Waffe gab es nicht.
    Ich ging aus dem Schatten hinaus in die Sonne und rief Rodenstock an. Ich sagte: »Ich habe den Jungen gefunden. Jemand hat ihn erschossen. Wenn du auf die Straße kommst, fährst du in Richtung Brück und dann sofort den Wirtschaftsweg links hinunter. Da steht mein Auto.«
    »Kann er sich selbst getötet haben?«
    »Kaum. Dann müsste eine Waffe da sein. Aber ich habe hier keine entdeckt«,
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