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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
Autoren: Donna Leon
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machte eine wegwerfende Handbewegung, aber er wiederholte die Frage, bis sie sagte: »Nein. Keinen Anwalt.«
    Dann saß sie wieder stumm da, den Blick auf die Tischplatte gesenkt, in die andere Einvernommene vor ihr über Jahre Initialen, Wörter und Bilder eingeritzt hatten. Die Augen in ihrem rotfleckigen Gesicht waren vom Weinen geschwollen. Mit dem rechten Zeigefinger malte sie ein paar Initialen nach, bevor sie endlich zu Brunetti aufschaute.
    »Trifft es zu, daß Claudia Leonardo in der Bibliothek arbeitete, deren Kodirektorin Sie sind?« Er hielt es für ratsam, ihren Mann so lange aus dem Spiel zu lassen, bis das Gespräch in Gang gekommen war.
    Sie nickte.
    »Verzeihen Sie, Signora«, sagte er mit einem milden Gesichtsausdruck, der nicht ganz einem Lächeln gleichkam, »aber Sie müssen etwas sagen. Wegen der Aufzeichnung.«
    Sie sah sich nach Mikrophonen um, doch die waren an der Wand in zwei Fassungen untergebracht, die aussahen wie Lichtschalter, weshalb sie die Mikros nicht erkannte.
    »Hat Claudia Leonardo in der Biblioteca della Patria gearbeitet?« fragte er noch einmal.
    »Ja.«
    »Wann sind Sie ihr dort zum ersten Mal begegnet?«
    »Schon recht bald.«
    »Könnten Sie mir das erste Zusammentreffen schildern? Ich meine, die Umstände.«
    Sie ballte die Rechte zur Faust und begann geistesabwesend mit dem Daumennagel an einem der Buchstaben auf der Tischplatte herumzukratzen und die fettige Substanz herauszupulen, die sich mit den Jahren in den Kerben angesammelt hatte. Brunetti sah zu, wie sie ein winziges Krümelchen herauslöste, das man für geschwärztes Wachs hätte halten können. Sie wischte es zu Boden, dann sah sie zu ihm auf. »Ich mußte ein bestimmtes Buch aus der Bibliothek holen, und als ich hereinkam, sprach sie mich an und fragte, ob sie mir helfen könne. Sie wußte nicht, wer ich war.«
    »Was war Ihr erster Eindruck von dem Mädchen?«
    Sie tat die Frage mit einem Schulterzucken ab, doch bevor Brunetti sie an die Mikrophone erinnern konnte, begann sie: »Ich hatte eigentlich keinen besonderen Ein...« Aber dann besann sie sich offenbar darauf, wo und warum sie hier war, setzte sich gerade, schaute Brunetti an und sagte mit fester Stimme: »Sie schien ein nettes Mädchen zu sein.« Wobei sie das »schien« deutlich betonte. »Sie war sehr zuvorkommend, und als ich ihr sagte, wer ich sei, behandelte sie mich sehr respektvoll.«
    »Und glauben Sie, daß dieser erste Eindruck richtig war?« fragte Brunetti.
    Sie zögerte keinen Augenblick mit der Antwort: »Nein, das kann nicht sein, nicht nach dem, was sie meinem Mann angetan hat.«
    »Aber was dachten Sie anfangs, bei Ihrer ersten Begegnung?«
    Offensichtlich kostete es sie Überwindung, diese Frage zu beantworten, doch dann sagte sie: »Anfangs habe ich mich geirrt. Später erkannte ich die Wahrheit, aber es dauerte seine Zeit.«
    Brunetti gab es auf, sie zu einer unvoreingenommenen Wiedergabe ihrer ersten Begegnung mit dem Mädchen zu bewegen, und fragte statt dessen: »Und zu welchem Schluß kamen Sie dann?«
    »Ich sah, daß sie sich, daß sie, daß sie...« Aber weiter kam sie nicht; ihre Stimme versagte. Wieder sah sie auf die Initialen auf der Tischplatte hinunter, grub noch einen Krümel Talg heraus und flüsterte endlich: »Daß sie sich für meinen Mann interessierte.«
    »In unziemlicher Weise?« forschte Brunetti.
    »Ja.« »Hatte es so etwas schon früher gegeben? Daß Frauen sich für Ihren Mann interessierten?« Brunetti formulierte es wohlweislich so, als hätte die Schuld bei den Frauen gelegen; zumindest fürs erste, bis sie bereit war, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, schien ihm diese Taktik angezeigt.
    Sie nickte. »Ja«, stieß sie hervor, mit einer Stimme, die zu laut war und zu nervös.
    »Und kam das oft vor?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Waren auch früher schon Bibliotheksangestellte dabei?«
    »Ja, die letzte, die wir hatten.«
    »Was geschah da?«
    »Ich bin dahintergekommen. Und er hat mir erzählt, wie es dazu kam, weil sie... also weil sie ein unmoralisches Flittchen war. Ich hab sie weggeschickt, zurück nach Genf, wo sie herstammte.«
    »Und sind Sie Claudia auch auf die Schliche gekommen?«
    »Ja.«
    »Könnten Sie mir schildern, wie?«
    »Ich habe gehört, wie er mit ihr telefonierte.«
    »Sie haben gehört, was er sagte?« Als sie nickte, fragte er: »Haben Sie das ganze Telefonat mitgehört oder nur das, was er sagte?«
    »Nur ihn. Er war in seinem Büro, aber die Tür war nicht geschlossen. So
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