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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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alles sauber, hat dein Instinkt gesagt. Du hast dich dann von mir sogar am Handgelenk fassen und fortziehen lassen, ja, so hat es begonnen mit uns beiden.«
    »… Rudolf Werchow«, der Redner schaute noch einmal zu Ruth, diesmal aber ein wenig verschmitzt, »hat Sie auch später niemals enttäuscht. Er hat Sie sogar mehr als einmal zum Lächeln gebracht, denn er besaß einen untergründigen Humor, mit dem er das Schwere leichter erscheinen lassen konnte. Wie gern – ich darf einmal aus dem Nähkästchen plaudern – hat er zum Beispiel gestöhnt, ach Mädel, wo hammer dich bloß aufgegabelt …«
    Ruth kam das steinerne, unter der Regenrinne stehende Bassin in den Sinn. Er habe es mit Quark gemauert, hatte Rudi ihr beiläufig erklärt, und sie hatte gefragt: »Mit Quark?« Einen Moment glaubte sie ihm. – »Nu, ’s gab kein Mörtel zur damalchen Zeit, aber Quark, da mußtmer den nehm.« – Wie er das so sagte, glaubte sie ihm noch ein bißchen mehr, sie fragte: »Und das hat so lange gehalten?« – Da schüttelte er endlich den Kopf und sagte seinen Spruch auf: »Ach Mädel, wo hammer dich …«
    Jetzt, da sie sich an jene Episode erinnerte, begann ihr Atem unstet und hechelnd zu gehen, sie klang, als stecke sie unter einer Sauerstoffmaske; für die um sie Sitzenden, und vor allem für Willy, war das nicht zu überhören. Und er verstand ihren Gram, wenigstens in gewisser Weise, er dachte, das ist alles wahr, was hier gerade gesagt wurde, ohne jeden Eigennutz hat Rudi sich Ruths angenommen, auch später noch, immer hat er sie verteidigt, und immer war er äußerst nachsichtig, wenn sie sich zurückzog und nicht reden mochte. Willy erinnerte sich nun, wie er selber sich abgemüht hatte, Ruth, mit der er zusammengewesen war und doch auch wieder nicht, das erste Mal ins Bett zu kriegen, wie lange hatte es gedauert, zweieinhalb Jahre, drei? Viel zu lange auf jeden Fall, bei anderen Weibern, die er davor oder dazwischen gehabt hatte, ging es doch auch im Handumdrehen, nur Ruth hat sich immer entzogen, und er argwöhnte, das wäre in Kleinmädchenhaftigkeit, Schüchternheit, Schreckhaftigkeit gekleidete Berechnung, huch und ach und bitte nicht jetzt und bitte nicht so schnell, das kennt man doch, ein Köder der Weiber, damit man erst recht nach ihnen schnappt. Irgendwann wurde er ärgerlich, sehr ärgerlich, aber Rudi, der sonst nicht so viel gemerkt hat bei ihm, hat es ihm angesehen und hat ihn besänftigt, nur ruhig, Geduld, das wird schon noch bei der Ruth, weißt doch, was sie alles durchgemacht hat, sei geduldig mit ihr, Junge.
    »… und ist nach dem grauenvollen Krieg konsequent auf seinem Weg weitergegangen. Rudolf Werchow hat gemeinsam mit seinem alten Kampfgefährten Herbert Rabe die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien vollzogen. Ein Jahr war er paritätischer Erster Sekretär der SED-Gebietsleitung. Dann, als er gewiß sein konnte, daß sein Werk in guten Händen lag, kehrte er in seinen alten Beruf des Feinmechanikers zurück …«
    Willys Kieferknochen begannen zu mahlen. Jeder weiß doch, es ist ganz anders gewesen. Von Rabe gnadenlos beiseite gedrängt worden ist Rudi, einen Arschtritt hat er verpaßt bekommen von dem und von dessen Hintermännern, und warum? Weil er dieses eher lustige Geschichtchen über Ulbricht und die Eier herausgefunden hatte? Nur der billige Anlaß war das doch, ihn abzusetzen, bloß auf so was gewartet wurde doch damals. Hat also Rabe dem Redner hier, dieser armselige Redner muß informationshalber auch bei Rabe gewesen sein, seine Version erzählt, seine Verdrehung, seine Lüge.
    »… und wie gern übte er diesen Beruf aus. Rudolf Werchow, und das, liebe Trauergemeinde, ist beileibe keine Floskel, liebte es, ein Werkstück unter seinen Augen wachsen zu sehen. So nimmt es nicht wunder, daß er dreimal als Aktivist der sozialistischen Arbeit ausgezeichnet wurde. Daß er, obwohl wahrlich nicht begütert, ein Haus baute, welches, wie wir alle wissen, noch heute Wind und Wetter trotzt. Daß er einen Garten anlegte und daraus im Laufe der Zeit ein Kleinod machte. Mancher in Gerberstedt blieb stehen, um es zu betrachten und zu bestaunen …«
    Marieluise blickte ein bißchen verträumt, denn sie sah Catherine, ihre damals noch winzige Catherine an einem Frühsommertag mit angewinkelten Ärmchen und Beinchen auf einer Baumwolldecke im Schatten des großen Kirschbaums schlafen. Zuweilen fiel eine Blüte auf das Baby, ohne daß es irgendwie reagierte, nein, nichtmal das leiseste
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