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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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Sozialdemokrat Werchow einer derjenigen, die den von der Gestapo gesuchten Kommunisten Markus Roser, jenen Roser, nach dem heute unsere Erweiterte Oberschule benannt ist, versteckten. Er richtete dazu eine kleine Kammer unter der Dachschräge seines Hauses her. Selbst seine Söhne«, der Redner hob den Blick und tat, als suchte er Willy und Bernhard, »haben dazumal nicht davon gewußt. Und nichts beschreibt Rudolf Werchow besser als die Tatsache, daß er danach kein Aufhebens um seine Heldentat machte. Ja, liebe Trauergemeinde, nennen wir das Kind ruhig beim Namen, es war eine Heldentat. Aber Rudolf Werchow brüstete sich ihrer nicht. Denn seine herausragendste Eigenschaft neben Mut und Tatkraft war seine unbedingte Bescheidenheit. Nie wäre ein großes Wort über seine Lippen gekommen, nie eine Phrase …«
    Herbert Rabe, langgedienter Erster Gebietssekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, horchte auf: Phrase? Hatte das Bürschchen da vorn eben Phrase gesagt? Und wenn er es gesagt hatte, dann doch wohl, weil er durch die Blume zum Ausdruck bringen wollte, daß andere diese Phrasen dreschen, wir, uns meint er, das mittlerweile übliche, hinterhältige, widerwärtige Zwischen-den-Zeilen-Getue. Und was soll das überhaupt mit Rudis Bescheidenheit? Was weiß denn dieser Redner? Nichts weiß er, unbedingte Bescheidenheit, daß ich nicht lache, die hat Rudi doch nur herausgekehrt, als er nicht mehr hat mitmachen wollen, geradezu kultiviert hat er seine Bescheidenheit, weil sie nämlich perfekt zu seinem Rückzug gepaßt hat. So ist das heute – es muß sich einer nur zurückziehen wie ein verstocktes Kind, schon gilt er als Märtyrer. Dieser Rudi kriegt doch seine letzten Taschen derart mit Lob gefüllt, daß er gleich durch den Sargboden bricht!
    »… Mensch sein, menschlich sein: Jeder der hier und heute Versammelten hat das an Rudolf Werchow erfahren. Jeder hat seine unvergeßlichen, zu Herzen gehenden Erlebnisse mit ihm gehabt. Und doch möchte ich an dieser Stelle seine Schwiegertochter hervorheben. Sie, Ruth«, der Redner warf ihr einen mitleidigen Blick zu, »sind mit dem nun Verstorbenen besonders eng verbunden gewesen. Und er mit Ihnen, das darf ich wohl sagen, da bin ich mir der Zustimmung der anderen Angehörigen gewiß. Denn Ihnen, Ruth, hat er, ohne dazu verpflichtet gewesen zu sein, ein Heim gegeben. Eine Zukunft. Ein Leben in Würde. Ich merke«, der Vortragende schluckte zwei-, dreimal gekonnt, »daß ich an dieser Stelle ins Stocken gerate, denn ich stelle mir vor, wie es Ihnen damals ergangen sein muß. Sie waren mutterseelenallein. Sie hatten Ihre Liebsten verloren …«
    Ruth vernahm dies mit wächsernem Gesicht, verknoteten Händen und zusammengepreßten Knien. Rudi hatte vor ihr, der abseits des Trecks Sitzenden, verharrt, und sie hatte völlig stumpf durch ihn hindurchgeblickt; das wußte sie, aber sie wußte es nur von ihm. Viel später nämlich hatte er ihr berichtet, er sei im Heimgehen von seiner kriegswichtigen Arbeit einzig und allein deshalb stehengeblieben, um diesen Blick zu durchbrechen, um in ihren Augen irgendeine Reaktion hervorzurufen; und als aber keine erfolgte, habe er sie angesprochen, denn sie mußte sich doch zu einer Bewegung verleiten lassen, zu einem Zucken der Lider wenigstens, zu irgendwas.
    Sie hatte später auch nicht mehr gewußt, was er gesagt hatte, also gab er es ihr wieder, das ganze Gespräch, das keines gewesen war: »Wie heißt du denn?« – Nicht eine Regung. – »Wo bist du her?« – Nichts. – »Bist du allein hier?« – Wieder nichts. – »Wenn du allein bist, kannst du mit mir kommen, hörst du.«
    »Das ist mir eigentlich nur so herausgerutscht«, erklärte er ihr, »ich habe einfach noch etwas sagen wollen, denn wenn ich nichts mehr gesagt hätte, wärst du doch weiter wie erstarrt sitzen geblieben.« – »Und danach bin ich tatsächlich mit dir gegangen?« – »Nein, aber du hast mich endlich angesehen.« – »Wie habe ich dich angesehen?« – »Müde. Und gleichzeitig so fragend, was das soll und wie ich das meine, daß ich zu stammeln begonnen habe, meine Frau, die könnte dir was zu essen machen, und wir haben auch zwei Söhne, aber einer, also der Ältere wurde eingezogen, da ist gerade ein Zimmer frei.« – »Und das hat mich überzeugt?« – »Was heißt überzeugt. Meiner Meinung nach hat den Ausschlag gegeben, daß ich linkisch geredet habe. Das war in deinen Augen vielleicht der Ausweis guten Willens. Alles echt,
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